Sex and the Spiegel

In Spiegel-Online erschien am 20.02. unter der Rubrik “Uni-Leben” ein Beitrag über züchtige US-Studentinnen von Gregor Peter Schmitz.  Es geht dabei um eine Bewegung von ultra-orthodoxen Protestanten, die ihre Kommilitonen von den angeblichen Vorteilen eines keuschen Lebens überzeugen will, und dabei noch behauptet, dies sei das feministische Ideal. Die Gruppe True Love Revolution geht dabei mit Flyern und recht aggressiven Bekehrungsmethoden vor, weshalb sie bei Mitstudenten im traditionell eher etwas entspanntern Nord-Osten der USA nicht so gut ankommt.

Der Spiegel ziztiert in diesem Artikel auch die US-Bloggerin Lena Chen, die in den USA vor allem mit Ihrem Blog Sex and the Ivy, in dem sie recht freizügig über das Sexualleben der Havardstudenten (mitunter auch ihr eigenes) berichtet, und selbstbewusst feministische Ansichten vertritt. Chen, die selber deutsch spricht, hat den Spiegel-Artikel in ihrem Blog hefig kritisiert:

I was reading along happily until I got to the paragraph about me, which includes a reference to my “ultrakurzen Minirock” that excites the boys on campus. That means “ultra-short miniskirt”. Wait … why are they talking about my clothing choices? And where are these ultra-short miniskirts, because Cambridge, Massachusetts is sure as hell not the ideal place to wear them. (I may have been deluded about this my freshman year, but I — and my hemlines — have long since grown up.)

Lena Chen vergleicht den Artikel weiterhin mit in der Tat sehr sexistischen Äußerungen, die über sie in den amerikanischen Medien verbreitet wurden. Im ersten Moment dachte ich noch: “Das läßt sich doch nicht vergleichen!”

Ich habe den Artikel daraufhin nochmals gelesen, und muss feststellen, dass Chen mit ihrer Kritik durchaus recht hat. Obwohl Schmitz sich bemüht, sie als fortschrittliche Angehörige einer post-feministischen Avantgarde zu zeichnen, bedient er sich dazu zutiefst sexistischer Klischees:

Sex-Genießer wie die Soziologiestudentin Lena Chen hingegen, die einen Blog über ihr Liebesleben schreibt und mit ihrem ultrakurzen Minirock mindestens den männlichen Teil der Campus-Population verzückt, meinen: Eine starke Frau solle sich gerade nicht fürs voreheliche Vögeln schämen. “Es ist unrealistisch, dass mir jede Person, mit der ich Sex habe, wirklich wichtig ist”, sagt Chen. “Sex fühlt sich einfach gut an.”

Was hat Lena Chens Kleiderwahl, oder ihr mutmaßlicher Erfolg bei den männlichen Kommilitonen denn mit dem Thema (letztlich geht es religösen Fanatismus) zu tun? Als ernsthaften Leser interessiert mich doch, was Chen zu den Umtrieben ihrer Komilitoninnen zu sagen hat, und nicht, was sie dabei anhat. Es bleibt bei diesem Absatz der Beigeschmack des Sensationsheischenden, das Lena Chen auf ihre sexuelle Aktivität reduziert, ohne wirklich auf ihre politischen Ansichten einzugehen. Ich bin sicher sie hat mehr dazu zu sagen, als “Sex fühlt sich einfach gut an!”

Für Lena Chen kommt hier vermutlich hinzu, dass in den USA eine andere Einstellung gegenüber Sexualtiät gepflegt wird: Chens Ansichten gelten dort vielen als radikal, während bei uns jeder sagt “Ist doch ganz normal”. Andersherum können die kruden Ideen von True Love Revolution, den meisten Europäern eher ein mitleidiges Lächeln abringen, als eine gesellschaftliche Debatte.  Dass Chen sich deshalb von der Wortwahl in eine Schmuddelecke gerückt sehen könnte, muss man zumindest in Erwägung ziehen. Als Autor in einem Online-Magazin sollte man aber daran denken, dass die Personen, die man zitiert, den Artikel später vielleicht selber lesen.

Wo wir aber schon dabei sind: Die Hauptperson im Artikel, ist die Co-Präsidentin von True Love Revolution, Rachel Wagley. Über sie heißt es im Artikel:

Denn die hübsche 20-Jährige mit den langen braunen Haaren fungiert als Co-Präsidentin von “True Love Revolution”, einer kleinen Gruppe von Harvard-Studenten, die sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe propagiert.

Warum ist es in diesem Zusammenhang wichtig, dass es sich bei Wagley um eine “hübsche 20-jährige, mit langem braunen Haar” handelt? Neben dem Artikel ist ein Bild von ihr, da kann  ich selber sehen, dass sie hübsch ist, dass muss nicht noch mal extra gesagt werden. Vielmehr vermeint dieser Satz ein Motiv untermauern zu müssen, dass direkt nicht angesprochen ist: Das Wagley nämlich tatsächlich aus religösen Motiven handelt, und nicht etwa weil sie 40 und fett und häßlich sei, und deswegen sowieso keinen Sex bekäme. “Fünf Mark in die Chauvikasse bitte!”, an dieser Stelle. Mit Verlaub, dass finde ich im Kern noch sexisitischer als die Bemerkungen über Lena Chens Kleidung. Und vermutlich hat Georg Peter Schmitz diesen Sexismus in seinem Artikel überhaupt nicht bemerkt. Den ansonsten manchmal sogar überkritischen Bloggerinnen vom Mädchenblog jedenfalls, ist er auch nicht aufgefallen. Das mag natürlich daran liegen, dass sie Wagleys kruden Thesen ablehnend gegenüber stehen, und sich daher mehr mit ihr, als mit Georg Peter Schmitz’ Text befassen.

Lena Chen sei gesagt: Ihr Zitat wird in Deutschland durchweg positiv aufgenommen, und ich vermute die meisten Leser und Leserinnen des Spiegel werden ihren Aussagen über das selbstbestimmte Leben von Frauen zustimmen. Egal wie sie sich kleidet.

11 Antworten zu “Sex and the Spiegel”

  1. Christian sagt:

    Warum sollte man nur weil ein Foto daneben ist nicht schreiben können, ob sie schön ist?
    Mich interessiert das durchaus und ich halte Rückschlüsse daraus für legitim. Enthaltsamkeit die mit einer bewußten Rückführung der eigenen Attraktivität zusammenhängt hat eine ganz andere Wirkung als eine begehrenswerte Frau, die Sex zurückhält.
    Letztere kann die Zurückhaltung von Sex viel mehr als Waffe einsetzen, weil die Leute tatsächlich Sex mit ihr haben wollen.
    Klar haben auch hässliche Frauen keine Probleme Sex zu bekommen, es ist schließlich ein Nachfragemarkt, aber der Druck, der dadurch aufgebaut wird, ist halt wesentlich geringer.

    • Jali sagt:

      Mir ging es nicht darum, das man nicht erwähnen dürfe, dass Rachel Wagley eine hübsche Frau ist, sondern um den Kontext in dem das passiert.
      Es geht inhaltlich ja nicht um Wagleys Aussehen, oder wie sie damit umgeht, sondern um ihre Weltanschauung. Und da legt die Formulierung nahe, dass der Autor es in diesem Zusammenhang für erwähnenswert hielt, das Wagley eben nicht aus dem Motiv heraus handelt “keinen abzukriegen”. Wäre Wagley ein Mann, ich glaube kaum dass eine derartige Formulierung verwendet würde. Den meisten Menchen würde eine Formulierung wie “Der gutaussehende 20-Jährige mit dem Dackelblick” in diesem zusammenhang seltsam bis lächerlich erscheinen. Wenn es um Frauen geht, scheint es aber ganz normal zu sein, dass man zunächst auf ihre körperlichen Attribute eingeht, bevor man zu den Inhalten kommt.
      Entsprechend glaube ich, die Geschichte würde wesentlich weniger von den Medien kolportiert werden, wenn Wagley tatsächlich unattraktiv wäre, weil dann jeder das unausgesprochene annimmt, was die Sache dann wieder banal erscheinen ließe.

  2. [...] Evil Daystar, a German blog, concurs with my argument that Der Spiegel was sexist in their depiction of me. The recap: the German newsmagazine, which is considered progressive, described me in a mini-skirt, which 1) did not exist, and 2) served only to distinguish me from my sexually chaste counterpart. [...]

  3. Ti_Leo sagt:

    Absolute Zustimmung! Danke.

  4. Christian sagt:

    “Der gutaussehende 20-Jährige mit dem Dackelblick”

    Gutaussehend ist bei Mann und Frau auch nicht das Selbe in der Wertung. Aber wenn er Quarterback der Universitätsmannschaft wäre, aus gutsituierten Hause kommen würde, einen Sportwagen fahren würde und in einer erfolgreichen Band spielen würde (habe ich alle Klischees für Status?) dann könnte ich mir eine Erwähnung dieser Tatsachen durchaus vorstellen.

    Dackelblick taucht so denke ich in wenigen Beschreibungen attraktiver Männer auf.

    • Irgendwer sagt:

      Quarterbacks spielen nicht in Bands. ;-)

      • Christian sagt:

        Aber wie begehrt wären sie, wenn sie auch da noch Helden wären?

        Für Männer und Frauen werden unterschiedliche Sachen als attraktiv wahrgenommen, meiner Meinung nach aus evolutionären Gründen.
        Körperliche Schönheit bei der Frau und Status beim Mann. Ein Mann, der erklärt, dass er so religiös ist, dass er vor der Ehe keinen Sex haben will wird bei ebenfalls religiösen Frauen vielleicht einen Statuszuwachs erfahren. Bei “normalen” Frauen (also solche die davon ausgehen, dass Sex vor der Ehe eine Selbstverständlichkeit ist) aber bereits deswegen einen Statusabschlag hinnehmen müssen. Schon aus diesem Grund werden Männer mit solchen Forderungen anders wahrgenommen als Frauen.

        Meiner Meinung nach ist die Attraktivität bei der Frage der Keuschheit sehr interesant. Wenn ein Obdachloser erklärt, dass er allen Besitz aufgibt, dann hat das auch ein anderes Gewicht als wenn Bill Gates dies erkären würde. Und natürlich varierit die Wahrnehmung zwischen den Geschlechtern.
        Bei Männern würde die Bewertung meiner Meinung nach noch eine größere Rolle spielen, weil für sie Sex schwerer zu bekommen ist als für Frauen und für sie Keuschheit keine Rufvorteile bringt. Ich denke, dass auch bei den Männern eine entsprechende Bewertung ihres sexuellen Marktwertes erfolgen würde. Nur eben nach den dort geltenden Kriterien.

        • Jali sagt:

          Also, dass halte ich nun für etwas weit hergeholt. Es ist natürlich richtig, dass Frauen andere Ansprüche an mögliche Männer stellen als umgekehrt. Der Vergleich mit dem Besitz aufgeben hinkt aber gewaltig.
          Im Gegenteil, tappst Du in die gleiche Falle, wie der Autor des Artikels, nämlich zu unterstellen, dass Motiv keusch zu bleiben, sei für eine Frau, die Du für unattraktiv hälst, stets so zu bewerten, dass sie dadurch der Tatsache ausweichen wolle, dass sowieso keiner Sex mit ihr haben wolle. Damit reduzierst Du sie auf Äußerlichkeiten, und sprichst ihr letztlich das Recht ab, ein anders Motiv zu haben. Frei nach dem Motto: “Glaubt Dir ja eh’ keiner!”
          Genau dass ist es, was Feministinnen kritisieren. Zu recht, wie ich finde.

          • Christian sagt:

            “nämlich zu unterstellen, dass Motiv keusch zu bleiben, sei für eine Frau, die Du für unattraktiv hälst, stets so zu bewerten, dass sie dadurch der Tatsache ausweichen wolle, dass sowieso keiner Sex mit ihr haben wolle.”

            Eine Frau, und sei so noch so hässlich, hat wohl keine Probleme Sex zu bekommen. Es gibt immer zumindest ein paar genauso hässliche Männer, die nichts gegen Sex einzuwenden haben dürften. Das würde ich also nicht unterstellen.

            Was ich behaupte ist, dass es etwas anderes ist, wenn eine Frau, mit der jeder schlafen will ihren Sex zurückhält als wenn eine Frau dies macht, mit der nur wenige schlafen wollen.
            Einfach weil dann mehr Leute überlegen, ob sie bereit sind den Preis (nämlich eine jahrelange Beziehung ohne Sex bis zur Heirat) zu zahlen.

            Ich versuche ein neues Beispiel:
            Wenn ein Meisterkoch erklärt, dass er nur für erlesene Gäste kocht, die zuvor 5 Stunden vor seiner Tür gewartet haben, dann wird das mehr Aufmerksamkeit erregen als wenn Hausfrau A, die eigentlich nicht gerne kocht, erklärt, dass man 5 Stunden warten muss. Dennoch würden sich sicherlich auch bei Hausfrau A ein paar hungrige einfinden.

            Wenn du mich nach dem Motiv fragst, dann mag es religiöse Überzeugung sein. Aber bei der Frau kann die Zurückhaltung von Sex eben auch mit einem Zugewinn an Macht verbunden sein, um so mehr Macht um so attraktiver sie ist. Das gleiche Statment von Megan Fox hätte eine andere Auswirkung als ein solches von Angela Merkel, weil einfach wesentlich mehr Leute mit Megan Fox schlafen wollen.

            Umgekehrt ist es genauso. Wenn George Clooney (Status) erklärt, dass er ein eingefleischter Junggeselle ist und sich nicht binden will und demnach den Deal “kein Sex bis zur Ehe” nie eingehen wird, dann interessiert das mehr Leute als bei einem kleinen Aushilfsarbeiter mit Halbglatze (kein Status).

            Wenn es darum geht, dass eine Frau Sex zurückhält, dann muss man meiner Meinung nach auch zunächst ihren “Wert” auf dem sexuellen Markt berechnen, da man nur so erfährt, was sie eigentlich zurückhält. Ich sehe darin nicht eine Reduzierung auf eine bestimmte Eigenschaft sondern eine Einbeziehung auch dieser Eigenschaft.

    • Jali sagt:

      I don’t see the contradiction: “Der Spiegel” is reducing Lena’s role to her sex posts, despite the fact that the article is not about her blogs. That *is* sexist. Lena Chen is not only what she writes in her blog (besides, SATI has become much more politics and much less sex over time).

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