Hallo Marieluise,
es ist mehr als naiv das Sperren von Internetseiten als Mittel gegen Vergewaltigung von Kindern sowie Darstellungen dieser Gewalt einzusetzen. Auf allen gängigen Betriebssystemen ist mit wenigen Klicks ein anderer DNS-Server eingestellt, der die richtige IP-Adresse einer Domain und nicht die einer Stoppseite zurück liefert. Aktuell zeigen die iranischen Internetnutzer, dass selbst zur Umgehung von weiterführenden Zensurtechniken kein Fachwissen nötig ist.
Sicherlich ist dir die Alternative “Löschen statt Sperren” bekannt, die auf einen seit langen bestehenden Regulierungsmechanismus des Internets, den Abuse-Mail-Adressen, abzielt: Mit ihnen werden die Administratoren der Hosting-Provider kontaktiert die daraufhin illegale Inhalte löschen (”Notice & Takedown”). Banken zeigen seit langen die Verlässlichkeit dieses Mechanismus durch das Löschen von Pishingseiten innerhalb von durchschnittlich vier Stunden - egal in welchem Land die Server stehen. Leider ist beim Löschen von Inhalten mit sexueller Gewalt gegen Kinder im Internet dieses Tempo nicht üblich. Grund dafür ist die mangelhafte internationale Kooperation der Strafverfolgungsbehörden oder wie die kleine Anfrage der FDP zeigt, dass z.B. in Deutschland das BKA von dem Abuse-Mail-System keinen Gebrauch macht. Hier könnte Politik im Einklang mit der vorhanden Struktur des Internets gegen die besagten Seiten vorgehen. Obendrein nachhaltig, weil die Darstellungen für niemanden nach einer Löschung mehr sichtbar sind. Der Gesetzesentwurf der Großen Koalition beinhaltet mittlerweile die “Löschen statt Sperren” Strategie. Allerdings ohne diesen Punkt zu konkretisieren. Es bleibt offen wie eine Löschung vorrangig erfolgen soll. Bestenfalls handelt es sich hierbei nach wie vor um - in Anbetracht des Themas - entsetzliches Wahlkampfgetöse. Schlimmstenfalls ist es die erste zaghafte Implementierung einer nationalen Zensurinfrastruktur im Internet.
Dass du einer ineffizienten Verfolgung von Darstellungen sexueller Gewalt - trotz der von allen Experten als zielführend bezeichneten Alternative - lediglich neutral gegenüber stehst, erschließt sich uns nicht. Offensichtlich hast du hier eine andere Sichtweise auf die Thematik als wir. Mit dieser Thematik beschäftige wir uns aber auch nicht, sondern mit Technik und deren Auswirkung auf die Gesellschaft, so dass in diesem Bereich unsere Hauptkritik liegt.
Selbst Peter Schaar befürchtet, dass die Sperrmechanismen zukünftig anderweitig eingesetzt werden. In anderen Ländern ist das bereits der Fall, so versucht seit langem vergeblich in Finnland ein Aktivist gegen die dortige Zensur, dass seine Website, die fälschlicherweise als “Kinderpornografie” eingestuft wurde, aus der nationalen Sperrliste gelöscht wird. Hinsichtlich der technisch bedingten Nachhaltigkeit unserer Demokratie ist das nicht als bedauerlicher Einzelfall anzusehen. Der Politologe Ralf Bendrath ergänzte hierzu Karl Popper durch die Frage: “Wie können wir unsere technischen Infrastrukturen so aufbauen, dass unfähige und unredliche Machthaber damit keinen großen Schaden anrichten können?” Das Gesetzt berücksichtigt diese Frage nicht, ganz im Gegenteil: Erstmalig wird in der BRD eine institutionelle Inhaltskontrolle auf Basis geheimer Sperrlisten eingeführt. Das entspricht der Definition von Zensur. Öffentliche Kontrolle oder Diskussionen über die Inhalte der Sperrliste sind von vornherein ausgeschlossen. Hier geht es frontal gegen die Demokratiefähigkeit der zukünftigen Internetgesellschaft.
Dass du dieser gravierenden Veränderung in den Neuen Medien neutral gegenüberstehst, können wir erst recht nicht nachvollziehen. Das hat uns veranlasst dir diese offene E-Mail zu schreiben. Offen weil sich viele fragen, warum sich ausgerechnet teils grüne Abgeordnetinnen und Abgeordnete bei der Abstimmung enthalten haben. Deine Antwort, vorausgesetzt du stimmst dem zu, würden wir daher gerne auf evildaystar.de posten. Dort kannst du auch eine erste Frustreaktion, dass jegliche Motivation für den Bundestagswahlkampf abhanden gekommen ist, nachlesen. U.a. auf Grund der GRÜNEN Kulturflatrate sind wir zu sehr davon ausgegangen, dass bei uns GRÜNEN ein gutes Verständnis der Neuen Medien verankert ist. Mit dieser Mail als ersten Schritt, werden wir uns also vorerst in innerparteiliche Debatten anstatt Wahlkampf einmischen.
Liebe Grüße
Daniel und Jan
Schlagworte: Bremen, Freiheit, Grüne, Internet-Sperren, Netz, Politik, Zensur
hey leute,
also das Wort Abgeordnetinnen gibt es in der deutschen Sprachen nicht!
zur Sache: Politisch handeln kann auch bedeuten, erst mal etwas zu akzeptieren was in der öffentlichen Meinung Vorrang hat, Kampf gegen Kinderpornographie und dann den im nächsten Zug den Entscheidern Besseres vorzuschlagen, also Wurzellöschen!
Wer nur Fundamentalistisch immer Recht haben will, weiß nicht wie Politik und Öffentlichkeitsarbeit funktioniert.
Schöne Grüße aus der Parterstadt Rostock Reinhard Knisch