Stockholm 1982: Mit Gummiknüppeln gegen soziale Erfindung im Telefonnetz

Hier mal einen Spiegel Online Artikel auf das Wesentliche zusammen remixt:

Als “eine soziale Erfindung ersten Ranges” beschreibt Hans Magnus Enzensberger in seinem Essayband “Ach Europa!” das Phreaking von Stockholmer Schülerinnen und Schülern in den 80igern: Damals konnte man durch die Anwahl einiger gesperrter Anschlüsse mit jedem anderen Teilnehmer sprechen, der das Gleiche tat. “Die betreffenden Telefonnummern gingen an den Stockholmer Schulen wie ein Lauffeuer um, und es entstand ein enorme, spontane Konferenzschaltung. Ein neues Massenmedium war geboren: der ‘heiße Draht’.” Umgehend wurde das neue Massenmedium zum Organisieren eines Flashmobs genutzt. Knapp 1000 Menschen fanden spontan zusammen, unterhielten sich und spazierten 1982 gemeinsam durch Stockholm. “Intelligenter kann man moderne Kommunikationstechniken kaum verwenden,” so Enzenberger zu dieser neuen soziale Entdeckung.

Die Entdeckung bestand nicht lange. Anfänglich knüppelte eine Polizeistaffel den Flashmob nieder, anschließend gab es an die Jugendlichen das staatliche Angebot eine Nummer frei zuschalten über die jeweils fünf Personen fünf Minuten lang telefonieren konnten. “Die Logik der staatlichen Intervention ist vollkommen klar”, so Enzensberger, “erst der Knüppel, dann die Mohrrübe. Die soziale Phantasie der Jugendlichen, ihre Selbsttätigkeit soll in einer Art Zangenbewegung erstickt werden: einerseits durch Unterdrückung, andererseits durch Verstaatlichung.” “Ich habe den Eindruck, dass sie ihr Selbstverständnis aus der Zeit des aufgeklärten Absolutismus herleiten”. Enzenberger weiter: “Sie glauben im Namen nicht nur ihrer Institution, sondern im Namen der ganzen Gesellschaft sprechen und handeln zu können. In ihren Äußerungen kehren immer wieder bezeichnende Sätze wieder: ‘Hier muss die Gesellschaft eingreifen.’ ‘Das kann die Gesellschaft nicht zulassen.’ ‘Darum muss sich die Gesellschaft kümmern.’”

Enzenberger entwickelt eine Denkfigur, die nichts an Aktualität eingebüßt hat, den Staat als “guten Hirten”: “Der gute Hirte ist, da er stets das Beste will, immer der Überzeugung, im Recht zu sein. Zur Besserwisserei fühlt er sich geradezu verpflichtet. Wenn er auf Kritik stößt, macht er zwar hie und da einen taktischen Rückzieher, aber an seinem Hintergedanken hält er unbeirrt fest, und er ist und bleibt entschlossen, ihn das nächste Mal, an anderer Stelle, durchzusetzen.”

Und weiter: “Es ist schwer, ein Urteil über den guten Hirten zu fällen. Das liegt an der Zweideutigkeit seines Wirkens. Er bietet einen Service , einen Grad an Daseinsfürsorge, der beispiellos ist; aber er übt auch einen ‘weichen Terror’ aus, der mich erschreckt. Wenn er – natürlich in bester Absicht – Kinder entführt, Journalisten einsperrt und scharfe Hunde auf Jugendliche hetzt, dann ist es leicht, sich über ihn zu entrüsten; wenn er kostenlose Rollstühle verschreibt und den Frauen gleiches Recht am Arbeitsplatz verschafft, erntet er Beifall. Vielleicht ist es gar nicht möglich, ihm objektiv gerecht zu werden. Vielleicht ist man entweder guter Hirte, oder man ist es nicht.”

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