Das belgische Unterhaus hat am vergangenen Freitag einstimmig für ein Gesetz gestimmt, dass die Vollverschleierung von Frauen, bei der auch das Gesicht verschleiert wird, vollständig verbietet. Zuwiderhandlungen können mit bis zu 140€ oder 7 Tagen Gefängnis bestraft werden.
Ziel des Gesetzes ist ein umfassendes Verbot der, in einigen Kulturen üblichen, Verschleierung wie zum Beispiel der in Afgahnistan verbreiteten Burka, einem Kleidungsstück das im Westen vor allem mit dem Terrorregime der Taliban in Verbindung gebracht wird. Auch der Niqab, der anders als die Burka kein vollständiges Gewand ist, sondern ein Tuch das der Verschleierung des Gesichts dient, und meist zusammen mit einem weiten Gewand und einem Kopftuch getragen wird, soll von dem Verbot betroffen sein.
Daniel Bacquelaine, Fraktionschef der liberalen belgischen Partei MR, der Maßgeblich an dem entstehen des Gesetzes mitgewirkt hat, sagte, die Vollverschleierung von Frauen sei ein Verstoß gegen die Grundwerte der belgischen Gesellschaft.
Wasser auf die Mühlen der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien. So hieß es von der rechtsextremen flämischen Partei Vlaams Belang, das Gesetz sei “erster Schritt gegen die Islamisierung Belgiens”.
Auch andere europäische Länder planen ein Verbot des Kleidungsstückes. Auch in Deutschland ist die Diskussion mittlerweile angekommen. Silvana Koch-Mehrin (FDP) die Vizepräsidentin des EU-Parlaments wünscht sich, dass das Gesetz in ganz Europa durchgesetzt wird. Der Bild am Sonntag sagte sie:
Ich wünsche mir, dass auch in Deutschland und in ganz Europa das
Tragen aller Formen der Burka verboten wird. Wer Frauen verhüllt, nimmt
ihnen das Gesicht und damit ihre Persönlichkeit.
Aus westlicher Perspektive ist dies sicher erst einmal richtig. Aus solchen Worten spricht zunächst erst einmal das westliche Selbstverständnis von Frauen, über ihren eigenen Körper, und damit auch über dessen Erscheinungsbild, frei und unabhängig verfügen zu dürfen. Vor allem vor dem Hintergrund des archaischen Weltbildes der Taliban, durch die Kleidungsstücke wie die Burka im Westen zu trauriger Berühmtheit gelangten, ist diese Form der Bekleidung als Symbol der Unterdrückung von Frauen für eine freiheitliche Gesellschaft nicht tolerierbar. Und doch steckt das Burka-Verbot gerade deshalb voller Widersprüche. Für Koch-Mehrin, und viele andere Befürworter eines Vorbots, begründet sich das Verbot damit, dass das erzwungene Tragen eines Schleiers das Recht der Frau auf die Verfügungsgewalt über ihren eigenen Körper einschränkt.
Genau da liegt aber das Problem: Mit dem Verbot der Burka, geht man gegen diese Beschneidung der Persönlichkeitsrechte von Frauen vor, in dem man eben diese Persönlichkeitsrechte an anderer Stelle beschneidet: Die Entscheidung ihr Gesicht nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen, wird den betroffenen Frauen damit nämlich genommen. Eine Unfreiheit also mit einer anderen bekämpft.
Das das nicht bloß Theorie ist, kann man schön sehen, wenn man ein Beispiel des US-amerikanischen Bloggers Jeff Jarvis heranzieht, dass dieses als das German-Paradox bezeichnet hat: Einerseits wird in Deutschland viel Wert darauf gelegt, dass persönliche Daten vertraulich bleiben, andererseits ist es in Deutschland völlig normal, in eine gemischte Sauna zu gehen, ohne sich dabei seiner Nacktheit zu schämen. Für einen US-Amerikaner wäre Letzeres unvorstellbar: Das Tabu der Nacktheit ist dort so groß, dass es schambesetzt ist, mit Männern und Frauen in der gleichen Sauna zu sitzen.
Nun würde vermutlich keiner auf die Idee kommen, Amerikanern in Deutschland das Benutzen von getrennten Saunen zu verbieten.
Für Menschen, die in einem Kulturraum groß geworden sind, in dem das Zeigen des unverhüllten Gesichts entsprechend schambesetzt ist, kommt ein Verbot des Schleiers etwa einer gesetzlichen Verpflichtung gleich, nackt herumzulaufen.
Das Gesetz schränkt also nicht nur die Freiheit der betroffenen Frauen ein, es demütigt sie zudem noch.
Als Atheist stehe ich religös begründeten Bekleidungsvorschriften grundsätzlich sehr kritisch gegenüber, und auch ich sehe diese Vorschriften in vielen Bereichen als ein Instrument männlicher Herrschaft an, das entgültig in die Mottenkiste der Geschichte gehört; zusammen mit Genitalverst��mmelung und dem chinesischen Fußbinden (das es zum Glück seit 60 Jahren nicht mehr gibt).
Allein zweifle ich, das der Weg eines radikalen Verbots daran etwas ändern wird. Stattdessen erreicht so ein Verbot nur, dass Frauen, die eventuell schon in ihrem Umfeld unter gewaltigem sozialen Druck stehen, noch mehr unter Druck gesetzt werden, weil sie nun widersprechenden Regeln folgen müssen: Dem von ihrem sozialen Umfeld auferlegten Zwang zum Schleier, und dem Verbot diesem Zwang nachkommen zu dürfen.
Für viele wird das Gefühl der Demütigung dazu kommen, wenn sie vom Staat praktisch aufgefordert werden, sich in aller Öffentlichkeit nackt zu zeigen. In den Bereichen, in denen entsprechende Werte gelebt werden, könnte dies dazu führen, dass die Frauen praktisch unter Hausarrest gestellt werden, was der Idee der Integration nicht gerade förderlich wäre.
Und zu guter Letzt wird diese Diskussion in epischer Breite von allen gesellschaftlichen Schichten geführt, nur die Frauen um die es geht, die haben mal wieder keine Stimme.
Ich habe noch keinen einzigen Kommentar von einer Frau in den Medien gehört, die selbst eine Burka oder einen Niqab trägt, und ihre Meinung dazu vertritt.
Aus dieser Haltung spricht nicht nur eine gehörige Portion Arroganz, sondern auch die Angst vor dem Islam. Es sind weniger die Rechte der Frauen, die hier im Vordergrund stehen, als die eigene Angst und Verunsicherung. In Belgien, das selbst stark mit seiner inneren Zerrissenheit kämpft, ist vermutlich auch eine Menge Politik im Spiel: Lenke den Zorn des Volkes ab, vom eingenen Unvermögen.