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Ich ziehe um…irgendwie

Nachdem es auf diesem Blog ja in letzter Zeit etwas ruhig geworden ist (mir fehlt einfach die Zeit zum bloggen), will ich nun einen neuen Anlauf wagen.

Diesmal soll es wieder politischer werden, habe ich mir vorgenommen. Für die Fundgrube witziger und interessanter Sachen bleibe ich euch hier natürlich erhalten, aber der politische Kram, im besonderen der der mit Überwachung und Bürgerrechten zu tun hat, zieht um.

Diese Themen werde ich ab sofort im Blog Preis der Freiheit behandeln. Ich hoffe, dass ihr mir dorthin folgen mögt.

Still alive

Die Sonne scheint, ein paar Vögel zwitschern. Es ist angenehme Luft und die Sonne geht auf. Ein schöner Morgen.

Merkwürdig. Die Hölle hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Der amerikanische Prediger Harold Camping hatte doch Stein und Bein geschworen, dass am 21. Mai 2011 die Welt untergeht. Na ja gut. genau genommen soll sie am 21. Oktober untergehen, aber die rechtgläubigen (das sind die, die Camping ihr Vermögen hintergergeworfen haben), sollten in den Himmel entrückt werden, während auf der Erde das Jüngste Gericht stattfindet, und alle Verbliebenen Höllenqualen ausgesetzt sind.

Auf das Datum gekommen ist Camping durch eine einfache Rechnung:

Die Zahl 5 steht für “Sühne”,  “10″ steht für “Vollständigkeit” und 17 für “Himmel”. Die Zahlen hat Camping wohl von Gott selbst, denn wie er darauf kommt, ist sein Geheimnis. Ebenso willkürlich behauptet Camping der historische Jesus von Nazareth sei am 1. April des Jahres 33 hingerichtet worden. Die Anzahl der Jahre zwischen dem 1. April 33 und dem 1. April 2011 beträgt genau 1978 Jahre. Diese 1978 multipliziert Camping nun mit 365,2422. Dies ist, laut Camping, die Anzahl der Tage in einem tropischen Jahr (wie Astrodicticum Simplex angemerkt hat, stimmt diese Zahl nicht: Der korrekte Wert ist 365.24219052 Tage). 1979 * 365,2422 ergibt 722449 (die Nachkommastellen ignoriert Camping großzügig). Vom 1. April bis zum 21. Mai sind es 51 Tage, macht 722500. Und das ist “zufällig” auch das Quadrat aus 5 * 10 * 17.

Na, dass kann doch kein Zufall sein? Scheinbar doch, denn die Welt dreht sich ja noch. Ich bin gespannt mit welcher Ausrede Camping seinen Totalausfall rechtfertigt.

Wir freuen uns derweil, dass wir noch am Leben sind:

Paolo Nespoli twittert

Falls ihr jetzt nicht wisst, wer das ist:

Paolo Nespoli ist ein italienischer Astronaut. Der Luft- und Raumfahrttechniker ist derzeit im Rahmen der ISS Mission 27 als Teil der Stammbesatzung der Station unterwegs. Damit wir ein bischen daran teilhaben können, macht Nespoli regelmäßig schöne Fotos, die er dann als @astro_paolo über Twitter schickt. Das ist unbedingt sehenswert:

Mondaufgang über der Erde, aufgenommen am 21.03.2011 von Paolo Nespoli

Mondaufgang über der Erde, aufgenommen am 21.03.2011 von Paolo Nespoli

@astro_paolo ist innerhalb von 5 Minuten in die Reihe meiner Lieblingstwitterer aufgestiegen.

Wer noch mehr will sollte auf der Seite Astronomy Picture of the Day der NASA vorbeischauen. Die Seite ist immer noch sehr 90er im Design, aber auch dort gibt es jeden Tag ein neues Weltraumbild.

Kann man gehörlose Menschen hypnotisieren?

Zugegeben, die Frage ist auf den ersten Blick irgendwie abwegig. Drauf gekommen bin ich, weil Jule darüber getwittert hat. Also habe ich mich mal auf die Suche gemacht. Sai konnte mir da leider auch nicht weiterhelfen, aber ich habe ein paar Studien zum Thema gefunden.

Die umfangreichtse  Studie (PDF), die ich zu dem Thema gefunden habe, wurde im Jahr 1994 von Renee J. Repka, damals am Rigeview Psycatric Hospital and Center in Oak Ridge, Tennessee, und Michael R. Nash von der University of Tennessee durchgeführt.

Zunächst einmal ergibt sich die Frage, wie man überhaupt die Hypnotisierbarkeit von Personen misst. Dazu gibt es verschiedene Skalen, die verschiedene Schwerpunkte haben können, z.B. die Havard Group Susceptibility Scale (HGSS), die für die Untersuchung von größeren Gruppen gedacht ist, oder die Stanford Hypnotic Susceptibility Scale (SHSS), die sich mehr auf Individuen fokussiert, und wohl die verbreitetste ist. Keine dieser Skalen kann natürlich vollkommen objektiv sein, dass scheitert schon daran, dass die Hypnotisierbarkeit von Menschen von sehr vielen Faktoren abhängt, nicht zuletzt davon, ob eine Person sich zu dem Zeitpunkt des Tests auf die Hypnose einlässt. Anders als in der Populärkultur dargestellt, erfordern Hypnosetechniken ein aktives Mitwirken des Probanden. Eine hypnotische Trance kann also gegen den Willen des Hypnotisierten nicht eingeleitet werden.

Die beiden Skalen basieren im wesentlichen darauf, während der Hypnose eine Reihe von 12 standardisierten Tests durchzuführen, um dadurch vergleichbare Angaben über die Tiefe der Hypnose zu erhalten. Da es in der Natur der Hypnose liegt, dass der Proband beim erreichen der hypnotischen Trance unwillkürlich die Augen schließt (nach SHSS  und HGSS) ist dies eines der 12 zu testenden Merkmale), die Tests aber zum Teil auf verbaler Suggestion basieren, ist es sehr schwer hier mit Gehörlosen zu arbeiten, die natürlich mit geschlossenen Augen die verbale Suggestion nicht wahrnehmen können. Um dieses Problem zu umgehen, hat Repka die Skala abgewandelt, und die UTHSS:D (University of Tennessee Hypnotic Susceptibility Scale for the Deaf) entwickelt. Diese Skala orientiert sich an der Stanford Skala (SHSS), verwendet aber Videotechnik um die gesprochenen Suggestionen in Gebärdensprache (in diesem Fall American Sign Language) abzubilden. Dadurch, dass alle Suggestionen auch als Ton vorhanden waren, kann der Test auch auf hörende Personen leicht angewandt werden.

Die angewandten Test stammten alle aus dem Reportoire des SHSS, wurde aber im Einzelfall so angepasst, dass sie die Gehörlosigkeit der Probanden gerecht werden (einen gehörlosen Probanden anzusprechen, während dieser die Augen geschlossen hält, ist z.B. wenig sinnvoll). So wurden verbale Signale z.B. durch Berührungen ersetzt. Wichtig ist, dass diese Form auch bei der hörenden Kontrollgruppe zum Einsatz kam.

Repka und Nash führten zwei Experimente mit einer Gruppe von prelingual ertaubten Personen (also Menschen die ihr Gehör in einem Alter vor dem Spracherwerb verloren hatten), und einer hörenden Kontrollgruppe durchgeführt. Hierbei wurden die Probanden gebeten während der Hypnose nicht zu sprechen. Die Signale, mit denen der Hypnotiseur versucht die Hypnose einzuleiten kamen dabei von einem Videoband, dass sowohl die gebärdete, als auch die gesprochene Version des Test enthielt. Der anwesende Assistent, dessen Aufgabe es war den Probanden zu helfen die hypnotische Trance zu erreichen wusste dabei nicht, zu welcher Gruppe der Proband gehörte.

Da sich die Altersstruktur und die Zusammensetzung nach Geschlecht in den beiden Testgruppen geringfügig unterschied, war der Test so ausgelegt, dass auch der Einfluss von Alter und Geschlecht berücksichtigt wurden.

Im ersten Experiment ergab sich für die Gruppe der gehörlosen Probanden ein UTHSS:D-Score von 5.1 (wobei höhere Werte eine höhere Empfänglichkeit für Hypnose anzeige Abweichung zwischen hörenden und gehörlosen Probanden festzzustellen war, wurde beim zweiten Test, der im Rahmen dieses Experiments durchgeführt wurde, keine Abweichung gefunden. Der zweite Test basiert auf dem “Field Depth Inventory” Test, der wohl dazu dient, die  Tiefe des Hypnosezustands beim Probanden herauszufinden, wohl mit Hilfe eines Fragebogens. In der Literatur findet dieser Test immer wieder Erwähnung, ich habe aber leider nicht herausfinden können, wie er funktioniert. Wenn jemand näheres über diesen Test weiß, würde mich das sehr interessieren. Bei diesem Test konnte kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen gefunden werden.

Im zweiten Experiment ging es darum, die Ergebnisse des ersten Tests zu reproduzieren, und weitere Daten zu gewinnen, um z.B. den Einfluß anderer Faktoren (Alter, Geschlecht, usw.) aus den Ergebnissen herauszurechnen. Dazu wurden zusätzlich zu den genanneten Skalen noch die “Archaic Involvement Measure” (AIM) eingeführt, ein Test der den Einfluss der Beziehung zwischen Proband und Hypnotiseur messen soll. Nash selbst hatte in früheren Forschungen bereits die Hypothese begründet, dass persönliche Verhältnis zwischen Hypnotiseur und Proband beeinflusse die Empfänglichkeit des Probanden für Hypnose.

Desweiteren wurden mehrere Tests durchgeführt, die die Empfänglichkeit des Probanden für allgemeine Suggestionen (außerhalb der Hypnose), seine persönliche Haltung zum Phänomen der Hypnose, und seine Erwartungen an das Experiment bewertet wurden. Die Ergebnisse des zweiten Experiments ließen auch beim UTHSS:D Test keine Unterschiede mehr erkennen.

Als Fazit kann man wohl sagen, dass es keine Unterschiede zwischen hörenden und gehörlosen Probanden gibt, was die Hypnotisierbarkeit angeht.

Have a nice summer

Die SPD hat, bereits am 9. Januar, den Entwurf für ein SPD Fortschrittsprogramm vorgestellt, dass dann am Ende der Klausurtagung in Potsdam vom Parteivorstand beschlossen wurde.

Netzpolitik.org hatte ja bereits darauf hingewiesen, dass die SPD das Kunststück fertiggebracht hat, ein 43 seitiges Papier zum Thema Fortschritt zu veröffentlichen ohne dabei auch nur einmal auch nur das Wort Internet (von Netzpolitik ganz zu schweigen) zu verwenden. Die technische Entwicklung, die derzeit wohl am weitreichendsten dabei ist, die Gesellschaft zu verändern, kommt bei der SPD nicht vor.

Für andere Themenbereiche gilt das genauso. Im Abschnitt 4 “Ein Programm für Nachhaltigkeit” (S. 35ff) geht es um nachhaltige Wirtschaft und ökologische Industrie, die damit in Zusammenhang stehenden Themen Biotechnologie und Gentechnik werden dabei aber mit keinem Wort erwähnt.

Was aber steht denn nun drin, im “Fortschrittsprogramm”? Zum Beispiel sowas hier:

Eine Gesellschaft und ihre Menschen brauchen klare Leitbilder für gute Arbeit und gutes Leben. Fortschritt ist humaner Fortschritt, oder er ist kein wirklicher Fortschritt für alle. Wo alles zur Ware am Markt wird, verlieren Menschen Sicherheit und Orientierung, verliert die Politik ihren Gegenstand und wird im wahrsten Sinne des Wortes gegenstandslos. Menschen mit guter Arbeit sind produktiver, innovativer, offener und optimistischer. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land brauchen deshalb faire Löhne und menschengerechte Arbeitsbedingungen. Gute Arbeit hat außerdem einen Wert, der weit über das Materielle hinausreicht. Gute Arbeit befähigt zur Teilhabe an der Gesellschaft und verleiht Selbstachtung. Und nicht zuletzt: Gute Arbeit und faire Löhne sind dringend geboten, weil Leisung keine Einbahnstraße ist. Wer zum Gelingen beiträgt, muss auch etwas davon haben.

Hier ist soviel Neusprech drin, ich glaube Maha hätte seine helle Freude daran. Die wesentliche Forderung, die hier aufgestellt wird ist die altbekannte Forderung nach humanen Arbeitsbedingungen, und der Teilhabe der Erwerbstätigen an den Früchten dieser Arbeit. Das ist nicht falsch, es ist aber auch nicht die revolutionäre Neuerung, als die die SPD es hier zu verkaufen versucht. Soziale Gerechtigkeit und faire Bedingungen für Arbeiter sind die zentralen Themen der Partei seit ihrer Gründung.

Antworten auf die sich ergebenden Fragen sucht man dagegen vergeblich. Das Menschen mit “guter Arbeit”, also solche denen ihre Arbeit Freude und Erfüllung bereitet, produktiver sind, ist ein Allgemeinplatz. Und warum braucht man “deshalb faire Löhne”. Braucht man faire Löhne nicht vor allem deshalb, damit jeder von seiner Arbeit auch menschenwürdig leben kann? Das Ganze wird dann nochmal wiederholt, indem bestätigt wird, dass Arbeit über das materielle (also die Vergütung) hinaus einen Wert hat. Wieso ermöglicht aber Arbeit jenseits des materiellen eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben? Bei mir verhindert sie es eher, weil mir wenig Zeit für gesellschaftliche Teilhabe bleibt, wenn ich 8 Stunden am Tag arbeite. Es ist also doch vor allem das materielle, also das Geld, dass diese Teilhabe ermöglicht.

Das Arbeit Selbstachtung verleiht, ist auch ein Allgemeinplatz. Natürlich, wer etwas schafft, zieht eine Selbstbestätigung daraus, und erfährt Anerkennung durch andere. Nun leben wir aber in einer Gesellschaft, in der es nicht genug Arbeit für alle gibt, nicht zuletzt weil die Automatisierung unserer Produktionsprozesse soweit fortgeschritten ist, dass nicht mehr alle arbeiten müssen, um die benötigten Güter zu produzieren. Der Traum von der Vollbeschäftigung ist damit ersteinmal ausgeträumt. Wie sich die SPD aber eine Gesellschaft vorstellt, in der auch die Menschen Selbstachtung erfahren, die nicht in den Produktionsprozess eingebunden sind, darüber findet man in den 43 Seiten nichts.

Der Gipfel des Neusprech sind aber die letzten beiden Sätze.

“Gute Arbeit und faire Löhne sind dringend geboten, weil Leistung keine Einbahnstraße ist. Wer zum Gelingen beiträgt, muss auch etwas davon haben.”

Natürlich ist Leistung keine Einbahnstraße, sie ist überhaupt keine Straße. Der Vergleich von menschliche Arbeitsleistung und/oder Kreativität mit einem zu beschreitenden Weg (in Form des Bildes der Straße) ist einigermaßen absurd. Gemeint ist hier natürlich: Leistung ist kein einseitiges Geben, der Leistende soll auch etwas zurück erhalten, wie der nächste Satz dann ja auch fordert. Man könnte auch sagen “Leistung muss sich wieder lohnen!” (Guido Westerwelle).

Ich könnte hier jetzt noch viele Seiten weiter schreiben, denn das Fortschrittsprogramm geht auf 43 Seiten so weiter. Neben altbekannten Forderungen finden sich Worthülsen wie die eben gezeigte, aber an Vorschlägen, wie man die Forderungen den Umsetzen, oder wie der beschworene Fortschritt denn aussehen solle, fehlt es auf jeder einzelnen Seite.

In den USA ist es üblich, dass die Schüler der High-School am Ende jedes Schuljahres ein Jahrbuch herausgeben. Jeder Schüler erhält ein Exemplar, und geht in den letzten Tagen vor den Ferien rum, um sich das Buch von den Mitschülern mit einem netten Spruch signieren zu lassen.

Wenn man jemandem absolut gar nichts zu sagen hat, schreibt man “Have a nice summer!” also etwa “Schöne Sommerferien”, das ist sozusagen das gesellschaftliche Todesurteil. Der SPD ist es hier gelungen auf 43 Seiten nichts anderes zu schreiben als “Have a nice summer!”.

Und nochmal Audismus?

Bei Die Welt mit den Augen sehen, dem Blog von Julia “Jule” Probst, bin ich auf eine Geschichte gestoßen, die mich -mal wieder- ziemlich aufgeregt hat.

Nach Berichten des Hamburger Abendblattes hat das Hamburger Jugendamt, bereits vor zwei Jahren, der gehörlosen Annette S.  ihr hörendes Kind weggenommen. Die Mutter hatte festgestellt, dass es zwischen ihr und dem Kind zu Kommunikationsproblemen kam, und das Jugendamt um Hilfe gebeten. Sie hatte bei der Familienhilfe Unterstützung für den Gebärdenunterricht ihres Sohnes Antonio beantragt.

Den Ämtern stehen hier eigentlich eine Reihe von Möglichkeiten offen, solche Probleme zu bearbeiten. So könnte man dem Kind helfen, besser zu Gebärden, oder der Mutter sich auch in Lautsprache mit ihrem Kind zu verständigen. Beim Zuständigen Hamburger Jugendamt, sah man hingegen das Kindeswohl gefährdet. Laut Berichten der TAZ heißt es:

Begründung: Kommunikation und Interaktion zwischen Mutter und Sohn seien stark gestört und das Kindeswohl somit gefährdet.

Als weitere Begründung wurde dann, laut TAZ nachgeschoben, die Mutter sei psychisch labil.  Da der Fall, aus Datenschutzgründen, unter Verschluss gehalten wird, ist es kaum möglich, diese Aussage zu belegen, es kann also durchaus was dran sein.

Leider hat der Umgang der Behörden mit gehörlosen Eltern eine traurige Tradition, die sich in Zahlreichen Fällen wie diesem hier immer wieder zeigt, der Verdacht, das hier Diskriminierung die eigentliche Ursache ist, liegt also mehr als nahe. Zumal die Vorgehensweise des Jugendamtes hier derart rabiat ist, dass man nur den Kopf schütteln kann. Der kleine Antonio wurde von den Behördenmitarbeitern direkt von der Kindertagesstätte abgeholt, und in eine Pflegefamilie gebracht. Seine Mutter hat er  nicht mehr sehen dürfen. Wegen der “psychischen Probleme” von Frau S. wurde ihr das Sorgerecht ein halbes Jahr später komplett entzogen.

Solch ein Vorgehen wäre vielleicht gerechtfertigt, wenn es Anzeichen gäbe, dass das Kind misshandelt wurde, oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit des Jungen bestanden hätte. Zumindest aus der Berichterstattung geht aber nichts dergleichen hervor.

Inzwischen hat der Anwalt der Familie S. erstritten, dass Mutter und Sohn einander sehen dürfen: Für zwei Stunden in der Woche und unter strenger Aufsicht eines Behördenmitarbeiters. Annette S. berichtet gegenüber der TAZ, ihr Sohn würde nunmehr kaum noch Gebärden können, und daher mit seiner Mutter nur noch schwer sprechen können.

Der Anwalt der Familie beanstandet derweil das Gutachten, aufgrund dessen S. das Sorgerecht entzogen worden wahr. Die Gutachterin beherrsche keine Gebärdensprache, und sei daher gar nicht in der Lage gewesen mit Frau S. zu kommunizieren.

Laut dem Gutachten misstraue S. der Welt der Hörenden, und fühle sich als Opfer, weil sie schwarz und gehörlos sei. Weiter heißt es in dem Gutachten: “Ihr Weltwissen ist eingeschränkter als das von Hörenden”. Leider schweigen sich die Zeitungsberichte über den genauen Kontext, in dem dieser Satz steht, aus. Es wäre insoweit interessant mal das ganze Gutachten zu lesen (kann das nicht mal jemand leaken?). Trotzdem ist die Stoßrichtung des Arguments unschwer zu übersehen:

Das ist hübsch formuliert nichts anderes, als die oft gehörte Behauptung, gehörlose seien allein aufgrund ihrer Gehörlosigkeit dümmer als Hörende. Dieses Argument ist so alt wie bescheuert. Es ist etwa so, als würde man behaupten Brillenträger seien dümmer als nicht Brillenträger, oder Linkshänder dümmer als Rechtshänder. Schon diese dreiste Behauptung belegt, dass Annette S. sich zu recht als Opfer sieht, als Opfer von Diskriminierung nämlich.

Am Donnerstag hat das OLG Hamburg darüber entschieden, ob Antonio zu seiner hörenden Tante ziehen darf. Das wäre wenigstens ein kleiner Fortschritt, denn diese kämpft an der Seite ihrer Schwester dafür, dass Antonio wieder zu seiner Mutter kommt.

Leider gibt habe ich noch keine Informationen darüber gefunden, was bei der Gerichtsverhandlung herausgekommen ist. Wer mehr weiß, bitte sagt mir Bescheid.

Zu meinem Bedauern hat es, außer der Handvoll Presseberichte, kaum ein öffentliches Echo auf den Fall gegeben; die Belange gehörloser Menschen scheinen kaum jemanden zu interessieren.

Das Schweigen der EU

Am 1. Januar tritt in Ungarn ein neues Gesetz zur Regulierung der Medienlandschaft in Kraft. Hierzu wird eine Regulierungsbehörde geschaffen, die über die Einhaltung der Regeln wachen soll. Die Nemzeti Média- és Hírközlési Hatóság (NMHH) soll in Zukunft darüber wachen, dass Medien die Vorschriften zum Jugendschutz einhalten, aber auch ob eine “ausgewogene Berichterstattung” stattfindet. Was “ausgewogene Berichterstattung” ist, lässt das Gesetz allerdings offen.

Wie die BBC berichtet, drohen bei Zuwiderhandlungen Bußgelder zwischen 10 Millionen Forint (ca. 35.000€) für Webseiten und 200 Millionen Forint (ca. 713.000€) gegen TV- und Radiostationen. Zeitungen können mit bis zu 25 Millionen Forint (89.000€) belegt werden. Die Strafe muss auf jeden Fall bezahlt werden, bevor ein Widerspruch überhaupt möglich ist. Widerspruchsverfahren sind dagegen aufwendig und teuer, und ziehen sich vermutlich über Jahre. Für eine kleine Zeitung bedeutet ein Bußgeld daher vermutlich das finanzielle aus.

Anders als z.B. bei der britischen Regulierungsbehörde Ofcom darf die NMHH auch ohne eine Beschwerde von dritter Seite tätig werden. Die NMHH untersteht dabei dem ungarischen Innenministerium, und wird nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters, voraussichtlich vor allem von Personen besetzt werden, die der Regierungspartei Fidesz, des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán nahestehen.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) äußerste sich in einer Pressemitteilung besorgt über die Zukunft der Pressefreiheit in Ungarn. Die OSZE sieht in dem Gesetz einen klaren Verstoß gegen die Standards der Pressefreiheit. Dunja Mijatovic, die Beauftragte für die Freiheit der Medien in der OSZE wird mit den Worten zitiert:

“I am concerned that Hungary’s parliament has adopted media legislation that, if misused, can silence critical media and public debate in the country,”

Um so erstaunlicher ist das Schweigen der übrigen EU-Staaten, von denen sich einzig Luxemburg kritisch zu den Vorgängen in Ungarn geäußert hat. Anders als noch im Jahr 2000, als die EU diplomatische Sanktionen gegen Österreich verhängte, um gegen die Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) Jörg Haiders zu protestieren, hat man Viktor Orbán bislang gewähren lassen, obwohl seine Fidesz-Partei in den selben Gewässern fischt wie weiland Haiders FPÖ.

Die jüngste Einschränkung der Pressefreiheit in Ungarn, das am 1. Januar auch die Ratspräsidentschaft der EU übernimmt, ist für die EU nicht hinzunehmen, ist sie doch nicht nur ein Affront gegen die Bürger Ungarns, sondern auch gegen alle anderen EU-Bürger, die sich der, sonst von der Politik so gern beschworenen, europäischen Wertegemeinschaft zu gehörig fühlen.

Das europäische Bloggerportal bloggerportal.eu ruft deswegen zum Protest auf. Ich zitiere mal aus dem Aufruf:

Europe’s bloggers are not going to accept that the EU Council will be presided over by a country acting against the fundamental rights of EU citizens. Such rank hypocrisy cannot go unchallenged. Article 11 of the Charter of Fundamental Rights and Freedoms of the EU is very clear about this:

1. Everyone has the right to freedom of expression. This right shall include freedom to hold opinions and to receive and impart information and ideas without interference by public authority and regardless of frontiers.

2. The freedom and pluralism of the media shall be respected.

We see this right being violated by the upcoming EU Council Presidency and are thus inviting bloggers from all around the EU to join our European Blog Action.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen rund um Zersursula, Censilia und Co. nährt das Schweigen der übrigen Staaten die Befürchtung, dass ähnliche Pläne für eine Richtline bereits in den Schubladen der EU-Kommision schlummern, und man erstmal in Ruhe abwartet, wie Ungarn damit durchkommt.

Wir dürfen diesen Abbau von Bürgerrechten innerhalb der Europäischen Union nicht hinnehmen, und müssen dieses Gesetz ebenso hart bekämpfen, wie die Gesetze, die unser eigenes Land betreffen. Ich schließe mich daher dem Aufruf von Bloggerportal.eu: Seid laut!

Studentenradio in Bremen

Ich bin in der letzten Woche beim Studentenradio an der Bremer Uni eingeladen gewesen, als Interviewpartner zum Thema 27C3. Freundlicherweise haben die Macher mir erlaubt, während der ganzen Sendung dabei zu sein, und den Radiomachern mal über die Schulter zu schauen.

Das ganze lief recht fröhlich-chaotisch ab, gesendet wurde aus der Cafeteria im GW2. Merkwürdigerweise ist es zwar so, dass man zwar für die Teilnahme am Campusradio Credit-Points für sein Studium bekommen kann, die Uni es aber nicht für nötig hält, den Machern für die Livesendung einen Raum zur Verfügung zu stellen. Obwohl das sicher nicht schwer wäre, so groß ist die Raumnot an der Uni ja nun nicht.

Jan Peter Erb, der Chefredakteur bemüht sich aber wohl schon recht lange erfolglos darum. Eine der ärgerlichsten Seiteneffekte ist, dass die Sendung, die Live über das Bürgerradio von Radio-Weser.TV ausgestrahlt wird, dieses mal acht Minuten Sendeausfall produziert hat, weil der Live-Stream im GW2 nur über das campuseigene  W-LAN gestreamt werden kann, dass leider durchaus gerne mal wegbricht.

Hier ist IMHO die Uni-Leitung gefragt, den Studenten wenigstens eine Netzwerkdose zur Verfügung zu stellen.

In dem Interview ging es um den CCC, den 27C3 und verwandte Themen. Beim nochmal anhören ist mir aufgefallen, dass mein Äh-Index sehr hoch ist. Daran muss ich unbedingt noch arbeiten. Ansonsten drehen sich die Beiträge um das studentische Leben in und um die Bremer Uni. Von Wohnungssuche über GEZ bis zum Essen in der Mensa.

Alle Beiträge der Campusradiosendungen könnt ihr übrigens hier nachhören. Einen Blick auf die Playlist empfehle ich allen, die Musik jenseits des Mainstreams hören mögen. Leider darf die Musik aus rechtlichen Gründen nicht online gestellt werden. Hier wäre es schön mehr CC-Lizensiertes im Programm zu haben.

Hört auf jeden Fall mal rein, die nächste Sendung läuft am 12.1. in Bremen und umzu auf 92.5 MHz im Radio, oder im Livestream.

Ein kleiner Schritt

Während die deutsche Blogosphäre gerade die Dämmerung des Internet durch den JMStV herbeischreibt, machen die Australier gerade vor, wieso wir unseren Blick eigentlich in Richtung Brüssel auf Censilia richten sollten.

Die Australier haben nämlich auch ein Netzsperrengesetz gegen Kinderpornographie. Nicht nur sind dort die Provider angehalten Seiten auf der Sperrliste zu sperren, wer auf eine geblacklistete Seite verlinkt, muss mit einem Bußgeld von AUS $11000 rechnen; pro Tag an dem der Link online ist.

Auf der Sperrliste der Australier stehen zur Zeit offiziell 1³70 Seiten. Die meisten davon enthalten, nach Angaben des Online-Magazins TechRadar in Australien illegale Pornographie, was in diesem Fall praktisch alle kommerziellen Angebote  mit pornographischem Inhalt umfasst, da in Australien zwar der Besitz vor Pornographie legal, der Handel aber illegal ist.

Der jüngste Zugang am Wochenende: Wikileaks. Die Seite wurde zwar bereits am Montag wieder von der Liste entfernt, weil entsprechender Protest durch die Medien ging, aber das Beispiel zeigt, wie kurz der Weg von Kinderpornosperren zu politischer Zensur ist.

Wenn Wikileaks wegen der Veröffentlichung der US-Botschaftsdepeschen gesperrt werden kann, wieso dann nicht auch die Zeitungen, die mit Wikileaks zusammengearbeitet haben, also der  britische Guardian und die New York Times sowoe der  der Spiegel? Einen Grund zum Blacklisting wird man finden, und sei er noch so an den Haaren herbeigezogen.

Laws should be like clothes. They should be made to fit the people they serve.

(Clarence Darrow)

Eene Meene Muh, der Feind bist Du

Das deutsche Fernsehen beschert seinen Zuschauern ja nicht gerade viele Sternstunden in kritischer Fernsehunterhaltung. Klassiker wie das Millonenspiel von Tim Toelle sind bereits 30 Jahre als, und genauso lange nicht gezeigt worden.

Nun hat der SWR versucht, mit einem neuen Projekt ein jüngeres Zielpublikum anzusprechen. Die neue Produktion trägt den etwas hirnrissigen Titel Alpha 0.7 – Der Feind in Dir, Der SWR versucht hier, ganz neue Wege zu gehen: Die meisten der Hauptfiguren haben ein eigenes Blog. Die Tochter der Protagonistin betreibt einen YouTube-Channel. Es gibt ein Radiohörspiel und einen Podcast zur Serie.

Aber worum geht es? Alpha 0.7 spielt in Stuttgart, im Jahr 2017. Um Bahnhöfe geht es aber diesmal nicht, dafür  um Überwachung. Die Autoren der Serie haben bei den aktuellen Entwicklungen der Innen- und Sicherheitspolitik gut aufgepasst. Deutschland 2017, dass ist das Kondensat aller Überwachungsalbträume der Datenschutz- und Bürgerrechtsbewegung. Man kann sich im öffentlichen Raum nicht bewegen, ohne von mindestens einer Kamera beobachtet zu werden. Der Zuschauer erfährt, durch den Blick durch die Kamera, dass diese dabei die Person automatisch erkennt, und ein Bewegungsprofil erstellt.

Telefone werden routinemäßig abgehört und alle Gegenstände des täglichen Gebrauchs, von der Kleidung bis zur Kaffeetasse, sind mit RFID-Chips ausgestattet, deren Kennung mit dem Träger verbunden ist. Die Polizei geht recht rüde vor, und verwendet unter anderem eine Art elektronischer Fessel, die dem Träger elektrische Schläge verpasst, sollte er sich aggressiv verhalten.

Große Teile des Überwachungsapperates gehören einer Firma die Behörden und Untenehmen beliefert, und natürlich Zugang zu allen Daten hat: Der Protecta AG (ein Name der, wie ich finde, eher nach Damenhygiene klingt),

In dieses düstere Szenario platzt eine neue Erfindung: Der Brainscanner. Mit diesem Gerät ist es angeblich möglich anhand der Struktur des Gehirns vorherzusagen, ob jemand Straftaten begehen wird. Das Prinzip des freien Willens, wird hier ebenso auf den Kopf gestellt, wie die Unschuldsvermutung.

Zu allem Überfluss gibt es noch eine junge Frau, Johanna Berger, die scheinbar, ohne dies zu wissen, Teil eines Experiments ist, in das neben der Protecta auch noch das dubiose Neurowissenschaftliche Pre-Crime Center des BKA verstrickt ist.

Die Serie entspinnt bereits in den ersten beiden Folgen einen komplexen Handlungsbogen und baut eine Menge Spanung auf. Ich will nicht viel über die Handlung verraten, da vielleicht der ein oder andere noch gucken will. Bestechend fand ich die Ausgestaltung auch kleiner Details, die zeigen, dass die Macher der Serie sich sowohl über die Überwacher, als auch über die Datenschutzbewegung kundig gemacht haben. So skandieren die Mitglieder der Widerstandsgruppe Apollon zum Beispiel, als sie eine Präsentation der Protecta AG stürmen, das Motto “Freiheit statt Angst”. Die Reden der Überwacher könnten auch von Karl de Maizière stammen. Besonders die Gefahr, dass scheinbar harmlose Daten so verknüpft werden, dass sich genaue Bewegungs-und Persönlichkeitsprofile erstellen lassen, wird hervorragend rübergebracht,

Die Serie ist recht stimmig, außer ein paar Logikbrüchen, die man aber wohl verschmerzen kann: So kann der Informatiker Ralf sich zwar innerhalb von Minuten in das Netzwerk der Protecta AG hacken, weiß aber nicht, dass man ein Handy tracken kann, oder dass Facebookdaten nicht privat sind.

Die medienübergreifenden Inhalte dagegen sind nicht so gut gelungen. So ist der YouTube-Channel von Meike Berger sehr unglaubwürdig, die wenigen Beiträge wirken sehr produziert. Die Blogeinträge von Johanna wirken eher wie von einem Redakteur geschrieben, und sind ebenfalls nicht glaubwürdig (würde jemand, der glaubt an paranoider Schizophrenie zu leiden, das wirklich in seinem Blog breittreten?).

Die Website von Apollon schließlich, sieht aus wie von einer Werbeagentur geschaltet, man denkt eher an Astroturfing, als an eine echte Widerstandsgruppe.

Die Internetgestaltung lässt deutlich erkennen, dass hier Fernsehleute am Werk waren, die vom Medium Internet nicht allzuviel verstehen.

Trotz dieser Schwächen ist dem  SWR  hier ein sehr ambitioniertes Projekt gelungen, das durchaus das Zeug hat, ein junges Publikum an die Problematik des Datenschutzes und des verbreiteten Überwachungswahns heranzuführen. Und es kommt., angesichts der Terrorpanik dieser Tage, zum rechten Zeitpunkt.

Eines habe ich aber immer noch nicht zufriedenstellend herausfinden können: Wieso kommt die Sendung Sonntags um 22:40 Uhr, und nicht zur Prime-Time?

Benoît Mandelbrot gestorben

Am vergangenen Donnerstag verstarb der franko-amerikanische Mathematiker und Ingenieur Benoît B. Mandelbrot. 1924 in Polen geboren floh die Familie 1936 vor der Bedrohung durch die Nazis, deren Überfall auf Polen Mandelbrots Vater Szolem, ein jüdischer Texilhändler, bereits drei Jahre vor Kriegsbeginn befürchtete, nach Frankreich. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich floh die Familie ins französische Tulle, kehrte jedoch 1944 nach Paris zurück, und entging so dem Massaker von Tulle.

Nach Kriegsende machte Mandelbrot seinen Abschluss an der École Polytechnique, und ging danach in die USA um am rennomierten California Institude of Technology, wo er seinen Master in Luftfahrttechnik (Aeronautics) machte. 1949 kehrte er nach Frankreich zurück um seinen Doktor  in Mathematik an der Universität von Paris zu machen.

Bereits in den fünfziger Jahren befasste sich Mandelbrot mit fachübergreifenden Problemen, z.B. aus der Flüssigkeitsdynamik, Informatik oder Wirtschaft.

Aufmerksamkeit erregte er in Fachkreisen mit der Erkenntnis, dass die Entwicklung von Finanzmärkten nicht einer gauß’schen, sondern einer Lévy-Verteilung folgt.

1974 veröffentlichte er eine Arbeit zum Olbers-Paradoxons in deren Zusammenhang auch der von ihm geprägte Begriff fraktal einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.

Zu seinen Hauptwerken gehört sicher das Buch Die Fraktale Geometrie der Natur (ISBN-13: 978-3764326463). Mit diesem Buch begründete Mandelbrot eine neue mathematische Disziplin, die fraktale Geometrie. Diese basiert auf der Erkenntnis, dass die euklidische Geometrie, mit ihren einfachen Grundformen ungeeignet ist, natürliche Objekte anders als nur nährungsweise zu beschreiben. So ist das Blatt eines Baumes eben nicht aus vielen kleinen Dreiecken zusammengesetzt, und eine Küstenline besteht nicht aus aneinandergefügten Geraden. Um derartige Strukturen besser beschreiben zu können, verwendete Mandelbrot neben den drei bekannten euklidischen Dimensionen nicht ganzzahlige, sog. fraktale Dimensionen, die um z.B. die Dimension einer flächenfüllenden Kurve zu beschreiben.

Ein wesentliches Prinzip fraktaler Strukturen ist die Selbstähnlichkeit, die dadurch charakterisiert ist, dass Details der dargestellten Menge immer wieder Ähnlichkeit mit der Gesamtstruktur aufweisen, obwohl sich dieselbe Teilmenge niemals wiederholt.

Das bekannteste Beispiel für Selbstähnlichkeit ist vielleicht die nach Mandelbrot benannte Mandelbrot-Menge, auch bekannt als “Apfelmännchen”. Mit dem aufkommen leistungsfähiger Computer wurde besonders die Mandelbrot-Menge einem breiten Publikum bekannt, da Ausschnitte aus der Mandelbrot-Menge mit modernen Computern leicht zu berechnen sind, und die Struktur wegen ihrer Schönheit von vielen -auch von Nicht-Mathematikern- sehr geschätzt wird.

Inzwischen haben fraktale Formen, neben der Wissenschaft, auch in der Kunst einen festen Platz gefunden.

Benoît Mandelbrot erlag am vergangenen Donnerstag, 85-jährig,  in einem Hospitz in Cambridge, Massachusetts einem Krebsleiden.

Im Bett mit RTL II

In seinem jüngsten Kommentar zu der Sendung Tartort Internet-Schützt endlich unsere Kinder!, die in den vergangenem zwei Wochen bei RTL II zu sehen war, fragt Heinrich Wefing in der Zeit, ob es denn eine angemessene Sprache gäbe, um mit dem Thema Kindesmissbrauch im Netz umzugehen. Die Antwort darauf gibt er gleich selber:

Nach den Erfahrungen der letzten Jahre müsste man meinen: Nein. Wer immer eine solche Sprache versucht hat, deutlich und hörbar, der ist sofort unter Verdacht gestellt worden. Dem schlug der Vorwurf entgegen, vor allem auf persönliche Profilierung aus zu sein, den Kitzel des Widerwärtigen zu instrumentalisieren. So ist es der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen ergangen, als sie digitale Sperren gegen die Verbreitung von Kinderporno-Seiten im Internet forderte und damit einen hasserfüllten Widerspruch auslöste, eine gigantische Protestwelle, wie es sie gegen das Geschäft mit dem Missbrauch von Kindern im Netz noch nie gegeben hat.

Nun frage ich mich, ab wann Herr Wefing eine Äußerung zu diesem Thema als “hasserfüllt” ansieht. Schließlich ist es Frau von der Leyen gewesen, die mit falschen Zahlen argumentiert hat, gar einen kleinen diplomatischen Zwischenfall auslöste, als sie behauptete in Indien sei die Verbreitung und Herstellung von kinderpornographischem Material legal. Natürlich gab es, wie immer im Netz, ein paar Trolle, die sich groß rausbringen wollten, und die üblichen Flames losgelassen haben. Die Anti-Zensur-Bewegung, die sich schnell im Netz gebildet hatte, besteht jedoch vor allem aus Leuten, die zum einen das Sperren von Internetseiten für ein ungeeignetes Mittel halten, Kindesmissbrauch zu bekämpfen, und zum anderen einen Missbrauch der dafür aufzubauenden Infrastruktur befürchten. Unsachlich wurde die Debatte erst, als die Sperrbefürworter den Kritikern unterstellten, sie seien selbst persönlich an Bildern von Kindesmissbrauch interessiert. Die Standardformel lautete damals: “Es gibt kein Grundrecht auf Kinderpornos!”

Dass das nie jemand behauptet hatte zählte schon damals nicht. Der Zweck heiligt eben die Mittel. Im Bezug auf Frau zu Guttenberg und ihre Sendung bei RTL II scheint, zumindest wenn es nach Wefing geht, dasselbe zu gelten:

Ja, es gibt schnelle, aktionistische Schnitte in Tatort Internet, ja, es gibt emotionale Musik und eine ziemlich aufgedrehte Reporterin, die die potenziellen Kinderschänder zu stellen versucht (ohne ihre Identität preiszugeben) – aber es gibt eben auch Interviews mit Lehrern, Psychologen, mit Kriminologen, mit Fahndern, die ebenso gut in jedem öffentlich-rechtlichen Sender laufen könnten. Verbietet es sich aber automatisch, Emotion und Information miteinander zu verbinden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen?

Als Journalist sollte Herr Wefing diese Frage eigentlich mit einem klaren “Ja” beantworten, tut er aber nicht. Stattdessen vertritt er die Ansicht, dass es anders nicht ginge (nicht ohne noch die Piratenpartei ins Gespräch zu bringen). Natürlich kann man es gut finden, wenn eine Ministergattin ihr Gesicht für eine an sich so ehrenwerte Sache wie den Kinderschutz hergibt. Ob es der Sache allerdings nutzt, wenn diese sich dann mit dem Blut- und Tittensender RTL II gemein macht, darf durchaus bezweifelt werden.

Zumal die Sendung eben nicht von Interviews mit Lehrern, Psychologen und Kriminologen lebt, sondern von der gnadenlosen Bloßstellung der vermeintlichen Täter. Dass dabei die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen mit Füßen getreten werden, und ein Fernsehsender sich anmaßt die Rolle von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten gleichermaßen zu übernehmen, wird dadurch nicht besser, dass die Tat, die die vorgeführten Männer möglicherweise planten, diese dann zu verachtenswerten Individuen macht.

Die von Wefing als Rechtfertigung vorgebrachte Anonymisierung war wohl auch nur mehr ein Feigenblatt, einer der in der Sendung Vorgeführten wurde bereits während die Sendung noch lief, über Twitter und auf der Online-Plattform krautchan enttarnt. Selbst wenn Heinrich Wefing der Meinung wäre, das geschehe der Person schon ganz recht, was, wenn der Mob bei krautchan sich irrt, und den Falschen enttarnt? Fällt das dann unter “Collateral Damages”?

Ist die Sendung nun wenigstens ein Mittel, um an die Täter heranzukommen, wie Frau zu Guttenberg in der Sendung behauptet? Auch das ist mehr als fraglich, dürfte die Mehrheit der in der Sendung gezeigten Personen gar keine Straftat begangen haben: Das verabreden sexueller Handlungen mit realen Kindern ist nach §176  StGB, anders als in der Sendung behauptet, bereits strafbar. Bei der Verabredung mit vermeintlichen Kindern (also Personen die nur behaupten Kinder zu sein), gilt dies jedoch nicht. Ob in diesem Zusammenhang ein untauglicher Versuch vorliegt, müssen wohl Gerichte klären.

Wefing endet seinen Kommentar mit der impliziten Behauptung, dass die Kritiker der Sendung lieber auf die Persönlichkeitsrechte der vermeintlichen Täter pochen würden, als an Lösungen für die Frage, wie man gegen Kindesmissbrauch vorgeht, zu arbeiten. Das entzieht, ähnlich wie der Vorwurf, den Kritikern ginge es darum, selber ungestört Kinderpornographie konsumieren zu dürfen, einer sachlichen Debatte jede Grundlage.

Wenn man, wie Heinrich Wefing es tut, die Forderung nach einer Sprache aufstellt, in der man das Thema Kindesmissbrauch sachlich diskutieren kann, dann sollte man vielleicht bei sich selber anfangen zu suchen, und erst einmal emotional abrüsten. So sehr das Thema jedem einzelnen an die Nieren geht: Wohlfeile moralische Entrüstung ist ein ebenso schlechter Ratgeber, wie Angst und purer Aktionismus.

Sendungen wie “Tartort Internet” verquicken alle drei zu einem höchst unerfreulichen Brei, den letzten Endes diejenigen auslöffeln müssen, die hier vermeintlich beschützt werden sollen, nämlich die Opfer sexueller Gewalt.

Scham

Gestern war ich mit einer Freundin unterwegs, die demnächst umziehen will. Ich habe mit ihr die neue Wohnung angesehen, und die Küche ausgemessen, damit die anzuschaffende Einrichtung nachher auch passt.

Die Wohnung ist in einem typischen Reihenhaus. Gut gepflegt, in dem kleinen, aber hübschen Garten des Hauses blühen die letzten Rosen des Jahres, Weinlaub rankt sich über dem Sitzplatz im Innenhof.

Der Vermieter ist ein Herr mittleren Alters, der uns freundlich begrüßt. Er lebt mit seiner Familie in der oberen Wohnung des Hauses, erzählt, dass er 3 Kinder hat (weshalb es manchmal ein bischen lauter sein kann, das störe doch hoffentlich nicht?), und dass er Ingenieur ist. Eine typische deutsche Mittelstandsfamilie eben, auch wenn sie einen türkisch klingenden Nachnamen hat.

Wir messen die Wohnung aus, und klären Formalien. Meine Freundin freut sich über die Wohnung. Als wir uns verabschieden fällt unser Blick auf ein kleines Bild über der Eingangstür. Es zeigt mehrere arabische Schriftzeichen in zwei leicht überlappenden goldenen Kreisen. Der Vermieter erklärt uns, dies sei ein Segenswunsch, den man in vielen arabischen Ländern, und auch in der Türkei, gern über dem Eingang aufhängt, der Spruch wünsche dem Haus und seinen Besuchern Gottes Segen. Ich fühle mich irgendwie an den extrem häßlichen Engel erinnert, den meine Nachbarn, zum selben Zweck, über ihrer Tür hängen haben. Den finde ich sogar noch eine Nummer  kitschiger als diesen Schriftzug.

Dann beeilt sich der Vermieter uns zu versicheren, dass er und seine Familie ja mit irgendwelchem Islamismus nichts zu tun hätten, und sie -obwohl sie Moslems seien- natürlich nichts von Al-Kaida und Co. halten. Ich höre ihm zu. Und ich schäme mich. Da steht dieser Mann in seinem eigenen Haus, und rechtfertigt sich bei mir, einem Fremden, für seine Religion.

Plötzlich sind Muslime in diesem Land nicht mehr Familenväter, Ingenieure, Hausbesitzer, sondern eben vor allem: Muslime. Die Debatten über “Integration” und “Kopftuchmädchen”, wie sie von Thilo Sarrazin geführt werden, setzen Menschen muslimischen Glaubens unter Druck, so sehr, dass viele glauben sich für Ihre Religion entschuldigen oder rechtfertigen zu müssen. Islam = Terrorismus, lautet die Formel, die da aus den rechtskonservativen Lagern dröhnt. Für den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders ist die bürgerliche Existenz nur Fassade, hinter der der böse Muselmann lauert, der nur darauf wartet Deutschland und Europa zu “Islamisieren”. Die Einwanderer seien nicht etwa gekommen, um sich ein besseres Leben aufzubauen, sie seien Teil einer Invasionsarmee, deren Masterplan es sei, dieses Land zu übernehmen, und die Scharia einzuführen.

Anstatt diese kruden Verschwörungstheorien als dass zu brandmarken was sie sind, krude Verschwörungstheorien eben, werden sie in Sonntagabendtalkshows breitgetreten, und in den Massenmedien weiterverbreitet. Gewiß, Geert Wilders, Thilo Sarrazin und ihre Brüder im Geiste werden nicht müde zu erklären, dass sie keine Nazis sind, und ideologisch sind sie das auch nicht, aber die Saat die sie säen trägt dieselben bitteren Früchte.

Ich habe mich bislang nie geschämt, für das Land aus dem ich komme. Jetzt gerade tue ich das.

Wir sind parallel

Heute morgen am Frühstückstisch entspann sich zwischen Bella und mir ein Gespräch über Integration und Parallelgesellschaften in Deutschland. Anlaß war ein Interview mit dem Leiter des Bremer Ortsamts West, Hans-Peter Mester, im Weser-Kurier vom vergangenen Donnerstag. Der Artikel ist leider  nicht online verfügbar.

Meser stellt darin sehr sachlich, und erfrischend unaufgeregt, fest, dass es in “seinem” Stadtteil, Gröpelingen, selbstverständlich Parallelgesellschaften gibt. Der bremer Westen war mit den Werften AG-Weser und Bremer Vulkan in Gröpelingen und den Häfen in Walle ein Zentrum deutschen Schiffbaus und Handels. Dazu gibt es in Gröpelingen ein großes Stahlwerk. Das hat, ganz besonders natürlich in den Jahren des Wirtschaftswunders, viele Menschen angezogen, denn hier gab es Arbeit und die Hoffung auf ein besseres Leben.

Heute sind die meisten Häfen weg, die Werften längst Geschichte. Geblieben sind die Zuwanderer. Auch heute noch ziehen viele Menschen mit türkischem Hintergrund hierher. Für Mester ist das selbstverständlich, schließlich leben dort schon viele Menschen, die türkisch sprechen, und den Neuankömmlingen helfen können. So bilden sich die Parallelgesellschaften von ganz allein. In Bremen-Gröpelingen leben die Menschen verschiedener Kulturkreise nicht in sozialromantischer Verklärung miteinander, sie leben in großen Teilen einfach nebeneinander her, aber in friedlicher Koexistenz.

Die Frage, die sich mir stellte ist die: Ist das denn ein Problem, dass nur die Migranten trifft? Sind wir, z.B. die Nerds, nicht auch eine Parallelgesellschaft? In vielen Bereichen schotten wir uns ab, gegenüber den “Anderen”. Ich spreche oft eine Sprache, die die Nicht-Nerds nicht verstehen, und verzweifle an dem Versuch die Sorgen mancher Mitmenschen zu begreifen. Ich kann meiner Oma nicht erklären was der 27C3 ist, denn sie lebt in einer gänzlich anderen Welt als ich. Ich bin sicher, den meisten anderen Menschen in diesem Land geht das, in vielen Bereichen ihres Lebens ebenso. Wir leben alle in unseren kleinen Parallelgesellschaften, die manchmal geprägt sind, von Dingen die uns persönlich wichtig sind, manchmal von sozialen Unterschieden und manchmal vom Grad der eigenen Bildung.

Hier im bremer Westen leben Ärzte und Arbeiter Tür an Tür, man kennt sich, man respektiert einander, man grüßt. Aber ein Miteinander ist das nicht, auch nur ein Nebeneinander. Der Arzt geht eben in der Regel nicht mit dem Schichtarbeiter der Stahlwerke nach Feierabend ein Bier trinken. Unsere Gesellschaft ist geprägt von solchen kleinen, völlig unterschiedlichen Lebenswelten. Will man positiv darüber reden, nennt man das “Pluralismus”.Die von Konservativen viel beschworene “Mehrheitsgesellschaft”, hier im Bremer Westen gibt es sie nicht.

“Six degrees of Seperation” nennt sich eine Theorie, nach der sich zwischen zwei beliebigen Menschen eine Verbindung herstellen lässt, die nur über Menschen führt, die einander kennen. Maximal sechs Menschen, so die Theorie, stehen zwischen zwei beliebigen, einander unbekannten Individuen auf dieser Welt. Empirische Studien haben gezeigt, dass die These stimmt, allerdings kristallisiert sich heraus, dass über manche Menschen mehr dieser Verbindungen laufen, als über andere. Es gibt Menschen, die sind mit vielen anderen vernetzt, sie sind die Schnittpunkte zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, weil sie Kontakte in Gruppen haben, die eigentlich gar nichts mit einander zu tun haben. In der Netzwerktheorie heißen solche Knotenpunkte “Hubs”. Die einzelnen Gruppen einer Gesellschaft sind durch solche Hubs mit einander vernetzt, über sie funktioniert die Kommunikation. Das “Integrationsproblem” entsteht in einer Gesellschaft immer dann, wenn man eine gesellschaftliche Gruppe nicht  erreichen kann, weil es gar keine Hubs gibt, die in diese Gruppe hineinführen. Um die Gruppe als solches zu erreichen, ist es daher gar nicht nötig, jeden einzelnen zu erreichen, die Schaffung von ausreichend “Hubs” genügt. Damit kann dann der nötige Einfluß in eine Gruppe getragen werden, damit zumindest eine friedliche Koexistenz, besser noch ein “Miteinander” ermöglicht wird. Leider hat unsere Gesellschaft die Tendenz gerade diese Knotenpunkte aufzulösen, und somit Parallelgesellschaften zu schaffen, die nicht mehr über Hubs mit dem Rest der Gesellschaft verbunden sind. Dabei geht es nicht nur um vermeintlich oder tatsächlich “integrationsunwillige” Ausländer, sondern auch um Langzeitarbeitslose, alleinerziehende Mütter, Menschen mit Behinderungen und so fort, auf der anderen Seite stehen Banker, Politiker, Ärzte deren Integrationsunwilligkeit eigentlich ebenso zu beklagen wäre, weil sie auch nicht bereit sind, Verbindungen in andere Gruppen zu schaffen.

In einer Zeit, in der uns die Technik die Vernetzung so leicht macht, wie noch niemals zuvor, zeichnet sich ein gefährlicher gesellschaftlicher Trend ab, nämlich der Zerfall einer vernetzten Gesellschaft im viele kleine Parallelgesellschaften, die zwar untereinender, aber mit anderen  gar nicht mehr kommunizieren. Die Ausländerpolitik ist hierbei nur ein Beispiel von vielen. Will man daran etwas ändern, muss man überall dort ansetzen, wo Hubs entstehen. In Kirchen, in Moscheen, in Vereinen und in Schulen. Die Vernetzung von Gruppen zu fördern ist aber eine mühsame Arbeit, weil man dahin gehen muss, wo die Menschen sind. Man muss sich öffnen, für die anderen, zuhören. Ein Patentrezept, das man stolz der Öffentlichkeit präsentiert, und das eine tolle Schlagzeile macht, gibt es hingegen nicht. In unserer von Aufmerksamkeitsökonomie geprägten Welt, ist wird es schwer sein, dafür Unterstützung zu gewinnen.

Bitte nicht füttern!

troll [1], verb, engl. “trällern”: Ein Posting in einer Usenet-Gruppe veröffentlichen, dass den einizgen Zweck hat, möglichst viel, vorzugsweise wütende Antworten (Flames) zu produzieren. Ziel des Trollens ist nicht das Anstoßen einer Diskussion, sondern lediglich die Aufmerksamkeit der Leser.  Mit dem wachsenden Erfolg des World Wide Web fand das Trollen auf auch Einzug in die Gesellschaft.

Troll [1], subst., m.: Der T. ist jemand, der der Tätigḱeit des trollens [1] frönt. T.s finden sich in allen größeren Internetforen, im Usenet, aber in der Zeit von Web 2.0 auch vermehrt in den Kommentarsektionen von Blogs und Communities. Der T. schreibt zwar häufig und viel, aber nie Substantielles. Um möglichst viele emotionale Reaktionen zu bekommen, bedient der T. sich bevorzugt saukontroverser Themen, seine vertretene Meinung wechselt er dabei regelmäßig. Der T. vertritt nicht seine persönliche Meinung, sondern eine, von der er glaubt in der Umgebung, in der er postet, den größten Effekt zu erzielen. Da Trolle nur auf die Aufmerksamkeit der anderen Netznutzer aus sind, ist der Versuch einer Diskussion aussichtslos, es ist besser sie zu plonken. Antwortet jemand auf einen T.-Beitrag, sagt man er füttere den T. T.-Füttern ist im Netz eine verpönte Tätigkeit, die bei Netizens fast so unbeliebt ist, wie das Misshandeln von Katzen.

Warum ich das jetzt schreibe? Wegen dem hier. Der ist nämlich ein Real-Life-Troll. Mit ein paar substanzlosen Thesen, ven denen er genau weiß, dass die öffentliche Meinung hochkocht, verschafft er sich Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, die er gut brauchen kann, hat der doch gerade ein Buch geschrieben, das vermutlich sonst kaum jemanden interessiert werden.