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Have a nice summer

Die SPD hat, bereits am 9. Januar, den Entwurf für ein SPD Fortschrittsprogramm vorgestellt, dass dann am Ende der Klausurtagung in Potsdam vom Parteivorstand beschlossen wurde.

Netzpolitik.org hatte ja bereits darauf hingewiesen, dass die SPD das Kunststück fertiggebracht hat, ein 43 seitiges Papier zum Thema Fortschritt zu veröffentlichen ohne dabei auch nur einmal auch nur das Wort Internet (von Netzpolitik ganz zu schweigen) zu verwenden. Die technische Entwicklung, die derzeit wohl am weitreichendsten dabei ist, die Gesellschaft zu verändern, kommt bei der SPD nicht vor.

Für andere Themenbereiche gilt das genauso. Im Abschnitt 4 “Ein Programm für Nachhaltigkeit” (S. 35ff) geht es um nachhaltige Wirtschaft und ökologische Industrie, die damit in Zusammenhang stehenden Themen Biotechnologie und Gentechnik werden dabei aber mit keinem Wort erwähnt.

Was aber steht denn nun drin, im “Fortschrittsprogramm”? Zum Beispiel sowas hier:

Eine Gesellschaft und ihre Menschen brauchen klare Leitbilder für gute Arbeit und gutes Leben. Fortschritt ist humaner Fortschritt, oder er ist kein wirklicher Fortschritt für alle. Wo alles zur Ware am Markt wird, verlieren Menschen Sicherheit und Orientierung, verliert die Politik ihren Gegenstand und wird im wahrsten Sinne des Wortes gegenstandslos. Menschen mit guter Arbeit sind produktiver, innovativer, offener und optimistischer. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land brauchen deshalb faire Löhne und menschengerechte Arbeitsbedingungen. Gute Arbeit hat außerdem einen Wert, der weit über das Materielle hinausreicht. Gute Arbeit befähigt zur Teilhabe an der Gesellschaft und verleiht Selbstachtung. Und nicht zuletzt: Gute Arbeit und faire Löhne sind dringend geboten, weil Leisung keine Einbahnstraße ist. Wer zum Gelingen beiträgt, muss auch etwas davon haben.

Hier ist soviel Neusprech drin, ich glaube Maha hätte seine helle Freude daran. Die wesentliche Forderung, die hier aufgestellt wird ist die altbekannte Forderung nach humanen Arbeitsbedingungen, und der Teilhabe der Erwerbstätigen an den Früchten dieser Arbeit. Das ist nicht falsch, es ist aber auch nicht die revolutionäre Neuerung, als die die SPD es hier zu verkaufen versucht. Soziale Gerechtigkeit und faire Bedingungen für Arbeiter sind die zentralen Themen der Partei seit ihrer Gründung.

Antworten auf die sich ergebenden Fragen sucht man dagegen vergeblich. Das Menschen mit “guter Arbeit”, also solche denen ihre Arbeit Freude und Erfüllung bereitet, produktiver sind, ist ein Allgemeinplatz. Und warum braucht man “deshalb faire Löhne”. Braucht man faire Löhne nicht vor allem deshalb, damit jeder von seiner Arbeit auch menschenwürdig leben kann? Das Ganze wird dann nochmal wiederholt, indem bestätigt wird, dass Arbeit über das materielle (also die Vergütung) hinaus einen Wert hat. Wieso ermöglicht aber Arbeit jenseits des materiellen eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben? Bei mir verhindert sie es eher, weil mir wenig Zeit für gesellschaftliche Teilhabe bleibt, wenn ich 8 Stunden am Tag arbeite. Es ist also doch vor allem das materielle, also das Geld, dass diese Teilhabe ermöglicht.

Das Arbeit Selbstachtung verleiht, ist auch ein Allgemeinplatz. Natürlich, wer etwas schafft, zieht eine Selbstbestätigung daraus, und erfährt Anerkennung durch andere. Nun leben wir aber in einer Gesellschaft, in der es nicht genug Arbeit für alle gibt, nicht zuletzt weil die Automatisierung unserer Produktionsprozesse soweit fortgeschritten ist, dass nicht mehr alle arbeiten müssen, um die benötigten Güter zu produzieren. Der Traum von der Vollbeschäftigung ist damit ersteinmal ausgeträumt. Wie sich die SPD aber eine Gesellschaft vorstellt, in der auch die Menschen Selbstachtung erfahren, die nicht in den Produktionsprozess eingebunden sind, darüber findet man in den 43 Seiten nichts.

Der Gipfel des Neusprech sind aber die letzten beiden Sätze.

“Gute Arbeit und faire Löhne sind dringend geboten, weil Leistung keine Einbahnstraße ist. Wer zum Gelingen beiträgt, muss auch etwas davon haben.”

Natürlich ist Leistung keine Einbahnstraße, sie ist überhaupt keine Straße. Der Vergleich von menschliche Arbeitsleistung und/oder Kreativität mit einem zu beschreitenden Weg (in Form des Bildes der Straße) ist einigermaßen absurd. Gemeint ist hier natürlich: Leistung ist kein einseitiges Geben, der Leistende soll auch etwas zurück erhalten, wie der nächste Satz dann ja auch fordert. Man könnte auch sagen “Leistung muss sich wieder lohnen!” (Guido Westerwelle).

Ich könnte hier jetzt noch viele Seiten weiter schreiben, denn das Fortschrittsprogramm geht auf 43 Seiten so weiter. Neben altbekannten Forderungen finden sich Worthülsen wie die eben gezeigte, aber an Vorschlägen, wie man die Forderungen den Umsetzen, oder wie der beschworene Fortschritt denn aussehen solle, fehlt es auf jeder einzelnen Seite.

In den USA ist es üblich, dass die Schüler der High-School am Ende jedes Schuljahres ein Jahrbuch herausgeben. Jeder Schüler erhält ein Exemplar, und geht in den letzten Tagen vor den Ferien rum, um sich das Buch von den Mitschülern mit einem netten Spruch signieren zu lassen.

Wenn man jemandem absolut gar nichts zu sagen hat, schreibt man “Have a nice summer!” also etwa “Schöne Sommerferien”, das ist sozusagen das gesellschaftliche Todesurteil. Der SPD ist es hier gelungen auf 43 Seiten nichts anderes zu schreiben als “Have a nice summer!”.

Und nochmal Audismus?

Bei Die Welt mit den Augen sehen, dem Blog von Julia “Jule” Probst, bin ich auf eine Geschichte gestoßen, die mich -mal wieder- ziemlich aufgeregt hat.

Nach Berichten des Hamburger Abendblattes hat das Hamburger Jugendamt, bereits vor zwei Jahren, der gehörlosen Annette S.  ihr hörendes Kind weggenommen. Die Mutter hatte festgestellt, dass es zwischen ihr und dem Kind zu Kommunikationsproblemen kam, und das Jugendamt um Hilfe gebeten. Sie hatte bei der Familienhilfe Unterstützung für den Gebärdenunterricht ihres Sohnes Antonio beantragt.

Den Ämtern stehen hier eigentlich eine Reihe von Möglichkeiten offen, solche Probleme zu bearbeiten. So könnte man dem Kind helfen, besser zu Gebärden, oder der Mutter sich auch in Lautsprache mit ihrem Kind zu verständigen. Beim Zuständigen Hamburger Jugendamt, sah man hingegen das Kindeswohl gefährdet. Laut Berichten der TAZ heißt es:

Begründung: Kommunikation und Interaktion zwischen Mutter und Sohn seien stark gestört und das Kindeswohl somit gefährdet.

Als weitere Begründung wurde dann, laut TAZ nachgeschoben, die Mutter sei psychisch labil.  Da der Fall, aus Datenschutzgründen, unter Verschluss gehalten wird, ist es kaum möglich, diese Aussage zu belegen, es kann also durchaus was dran sein.

Leider hat der Umgang der Behörden mit gehörlosen Eltern eine traurige Tradition, die sich in Zahlreichen Fällen wie diesem hier immer wieder zeigt, der Verdacht, das hier Diskriminierung die eigentliche Ursache ist, liegt also mehr als nahe. Zumal die Vorgehensweise des Jugendamtes hier derart rabiat ist, dass man nur den Kopf schütteln kann. Der kleine Antonio wurde von den Behördenmitarbeitern direkt von der Kindertagesstätte abgeholt, und in eine Pflegefamilie gebracht. Seine Mutter hat er  nicht mehr sehen dürfen. Wegen der “psychischen Probleme” von Frau S. wurde ihr das Sorgerecht ein halbes Jahr später komplett entzogen.

Solch ein Vorgehen wäre vielleicht gerechtfertigt, wenn es Anzeichen gäbe, dass das Kind misshandelt wurde, oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit des Jungen bestanden hätte. Zumindest aus der Berichterstattung geht aber nichts dergleichen hervor.

Inzwischen hat der Anwalt der Familie S. erstritten, dass Mutter und Sohn einander sehen dürfen: Für zwei Stunden in der Woche und unter strenger Aufsicht eines Behördenmitarbeiters. Annette S. berichtet gegenüber der TAZ, ihr Sohn würde nunmehr kaum noch Gebärden können, und daher mit seiner Mutter nur noch schwer sprechen können.

Der Anwalt der Familie beanstandet derweil das Gutachten, aufgrund dessen S. das Sorgerecht entzogen worden wahr. Die Gutachterin beherrsche keine Gebärdensprache, und sei daher gar nicht in der Lage gewesen mit Frau S. zu kommunizieren.

Laut dem Gutachten misstraue S. der Welt der Hörenden, und fühle sich als Opfer, weil sie schwarz und gehörlos sei. Weiter heißt es in dem Gutachten: “Ihr Weltwissen ist eingeschränkter als das von Hörenden”. Leider schweigen sich die Zeitungsberichte über den genauen Kontext, in dem dieser Satz steht, aus. Es wäre insoweit interessant mal das ganze Gutachten zu lesen (kann das nicht mal jemand leaken?). Trotzdem ist die Stoßrichtung des Arguments unschwer zu übersehen:

Das ist hübsch formuliert nichts anderes, als die oft gehörte Behauptung, gehörlose seien allein aufgrund ihrer Gehörlosigkeit dümmer als Hörende. Dieses Argument ist so alt wie bescheuert. Es ist etwa so, als würde man behaupten Brillenträger seien dümmer als nicht Brillenträger, oder Linkshänder dümmer als Rechtshänder. Schon diese dreiste Behauptung belegt, dass Annette S. sich zu recht als Opfer sieht, als Opfer von Diskriminierung nämlich.

Am Donnerstag hat das OLG Hamburg darüber entschieden, ob Antonio zu seiner hörenden Tante ziehen darf. Das wäre wenigstens ein kleiner Fortschritt, denn diese kämpft an der Seite ihrer Schwester dafür, dass Antonio wieder zu seiner Mutter kommt.

Leider gibt habe ich noch keine Informationen darüber gefunden, was bei der Gerichtsverhandlung herausgekommen ist. Wer mehr weiß, bitte sagt mir Bescheid.

Zu meinem Bedauern hat es, außer der Handvoll Presseberichte, kaum ein öffentliches Echo auf den Fall gegeben; die Belange gehörloser Menschen scheinen kaum jemanden zu interessieren.

Das Schweigen der EU

Am 1. Januar tritt in Ungarn ein neues Gesetz zur Regulierung der Medienlandschaft in Kraft. Hierzu wird eine Regulierungsbehörde geschaffen, die über die Einhaltung der Regeln wachen soll. Die Nemzeti Média- és Hírközlési Hatóság (NMHH) soll in Zukunft darüber wachen, dass Medien die Vorschriften zum Jugendschutz einhalten, aber auch ob eine “ausgewogene Berichterstattung” stattfindet. Was “ausgewogene Berichterstattung” ist, lässt das Gesetz allerdings offen.

Wie die BBC berichtet, drohen bei Zuwiderhandlungen Bußgelder zwischen 10 Millionen Forint (ca. 35.000€) für Webseiten und 200 Millionen Forint (ca. 713.000€) gegen TV- und Radiostationen. Zeitungen können mit bis zu 25 Millionen Forint (89.000€) belegt werden. Die Strafe muss auf jeden Fall bezahlt werden, bevor ein Widerspruch überhaupt möglich ist. Widerspruchsverfahren sind dagegen aufwendig und teuer, und ziehen sich vermutlich über Jahre. Für eine kleine Zeitung bedeutet ein Bußgeld daher vermutlich das finanzielle aus.

Anders als z.B. bei der britischen Regulierungsbehörde Ofcom darf die NMHH auch ohne eine Beschwerde von dritter Seite tätig werden. Die NMHH untersteht dabei dem ungarischen Innenministerium, und wird nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters, voraussichtlich vor allem von Personen besetzt werden, die der Regierungspartei Fidesz, des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán nahestehen.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) äußerste sich in einer Pressemitteilung besorgt über die Zukunft der Pressefreiheit in Ungarn. Die OSZE sieht in dem Gesetz einen klaren Verstoß gegen die Standards der Pressefreiheit. Dunja Mijatovic, die Beauftragte für die Freiheit der Medien in der OSZE wird mit den Worten zitiert:

“I am concerned that Hungary’s parliament has adopted media legislation that, if misused, can silence critical media and public debate in the country,”

Um so erstaunlicher ist das Schweigen der übrigen EU-Staaten, von denen sich einzig Luxemburg kritisch zu den Vorgängen in Ungarn geäußert hat. Anders als noch im Jahr 2000, als die EU diplomatische Sanktionen gegen Österreich verhängte, um gegen die Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) Jörg Haiders zu protestieren, hat man Viktor Orbán bislang gewähren lassen, obwohl seine Fidesz-Partei in den selben Gewässern fischt wie weiland Haiders FPÖ.

Die jüngste Einschränkung der Pressefreiheit in Ungarn, das am 1. Januar auch die Ratspräsidentschaft der EU übernimmt, ist für die EU nicht hinzunehmen, ist sie doch nicht nur ein Affront gegen die Bürger Ungarns, sondern auch gegen alle anderen EU-Bürger, die sich der, sonst von der Politik so gern beschworenen, europäischen Wertegemeinschaft zu gehörig fühlen.

Das europäische Bloggerportal bloggerportal.eu ruft deswegen zum Protest auf. Ich zitiere mal aus dem Aufruf:

Europe’s bloggers are not going to accept that the EU Council will be presided over by a country acting against the fundamental rights of EU citizens. Such rank hypocrisy cannot go unchallenged. Article 11 of the Charter of Fundamental Rights and Freedoms of the EU is very clear about this:

1. Everyone has the right to freedom of expression. This right shall include freedom to hold opinions and to receive and impart information and ideas without interference by public authority and regardless of frontiers.

2. The freedom and pluralism of the media shall be respected.

We see this right being violated by the upcoming EU Council Presidency and are thus inviting bloggers from all around the EU to join our European Blog Action.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen rund um Zersursula, Censilia und Co. nährt das Schweigen der übrigen Staaten die Befürchtung, dass ähnliche Pläne für eine Richtline bereits in den Schubladen der EU-Kommision schlummern, und man erstmal in Ruhe abwartet, wie Ungarn damit durchkommt.

Wir dürfen diesen Abbau von Bürgerrechten innerhalb der Europäischen Union nicht hinnehmen, und müssen dieses Gesetz ebenso hart bekämpfen, wie die Gesetze, die unser eigenes Land betreffen. Ich schließe mich daher dem Aufruf von Bloggerportal.eu: Seid laut!

Eene Meene Muh, der Feind bist Du

Das deutsche Fernsehen beschert seinen Zuschauern ja nicht gerade viele Sternstunden in kritischer Fernsehunterhaltung. Klassiker wie das Millonenspiel von Tim Toelle sind bereits 30 Jahre als, und genauso lange nicht gezeigt worden.

Nun hat der SWR versucht, mit einem neuen Projekt ein jüngeres Zielpublikum anzusprechen. Die neue Produktion trägt den etwas hirnrissigen Titel Alpha 0.7 – Der Feind in Dir, Der SWR versucht hier, ganz neue Wege zu gehen: Die meisten der Hauptfiguren haben ein eigenes Blog. Die Tochter der Protagonistin betreibt einen YouTube-Channel. Es gibt ein Radiohörspiel und einen Podcast zur Serie.

Aber worum geht es? Alpha 0.7 spielt in Stuttgart, im Jahr 2017. Um Bahnhöfe geht es aber diesmal nicht, dafür  um Überwachung. Die Autoren der Serie haben bei den aktuellen Entwicklungen der Innen- und Sicherheitspolitik gut aufgepasst. Deutschland 2017, dass ist das Kondensat aller Überwachungsalbträume der Datenschutz- und Bürgerrechtsbewegung. Man kann sich im öffentlichen Raum nicht bewegen, ohne von mindestens einer Kamera beobachtet zu werden. Der Zuschauer erfährt, durch den Blick durch die Kamera, dass diese dabei die Person automatisch erkennt, und ein Bewegungsprofil erstellt.

Telefone werden routinemäßig abgehört und alle Gegenstände des täglichen Gebrauchs, von der Kleidung bis zur Kaffeetasse, sind mit RFID-Chips ausgestattet, deren Kennung mit dem Träger verbunden ist. Die Polizei geht recht rüde vor, und verwendet unter anderem eine Art elektronischer Fessel, die dem Träger elektrische Schläge verpasst, sollte er sich aggressiv verhalten.

Große Teile des Überwachungsapperates gehören einer Firma die Behörden und Untenehmen beliefert, und natürlich Zugang zu allen Daten hat: Der Protecta AG (ein Name der, wie ich finde, eher nach Damenhygiene klingt),

In dieses düstere Szenario platzt eine neue Erfindung: Der Brainscanner. Mit diesem Gerät ist es angeblich möglich anhand der Struktur des Gehirns vorherzusagen, ob jemand Straftaten begehen wird. Das Prinzip des freien Willens, wird hier ebenso auf den Kopf gestellt, wie die Unschuldsvermutung.

Zu allem Überfluss gibt es noch eine junge Frau, Johanna Berger, die scheinbar, ohne dies zu wissen, Teil eines Experiments ist, in das neben der Protecta auch noch das dubiose Neurowissenschaftliche Pre-Crime Center des BKA verstrickt ist.

Die Serie entspinnt bereits in den ersten beiden Folgen einen komplexen Handlungsbogen und baut eine Menge Spanung auf. Ich will nicht viel über die Handlung verraten, da vielleicht der ein oder andere noch gucken will. Bestechend fand ich die Ausgestaltung auch kleiner Details, die zeigen, dass die Macher der Serie sich sowohl über die Überwacher, als auch über die Datenschutzbewegung kundig gemacht haben. So skandieren die Mitglieder der Widerstandsgruppe Apollon zum Beispiel, als sie eine Präsentation der Protecta AG stürmen, das Motto “Freiheit statt Angst”. Die Reden der Überwacher könnten auch von Karl de Maizière stammen. Besonders die Gefahr, dass scheinbar harmlose Daten so verknüpft werden, dass sich genaue Bewegungs-und Persönlichkeitsprofile erstellen lassen, wird hervorragend rübergebracht,

Die Serie ist recht stimmig, außer ein paar Logikbrüchen, die man aber wohl verschmerzen kann: So kann der Informatiker Ralf sich zwar innerhalb von Minuten in das Netzwerk der Protecta AG hacken, weiß aber nicht, dass man ein Handy tracken kann, oder dass Facebookdaten nicht privat sind.

Die medienübergreifenden Inhalte dagegen sind nicht so gut gelungen. So ist der YouTube-Channel von Meike Berger sehr unglaubwürdig, die wenigen Beiträge wirken sehr produziert. Die Blogeinträge von Johanna wirken eher wie von einem Redakteur geschrieben, und sind ebenfalls nicht glaubwürdig (würde jemand, der glaubt an paranoider Schizophrenie zu leiden, das wirklich in seinem Blog breittreten?).

Die Website von Apollon schließlich, sieht aus wie von einer Werbeagentur geschaltet, man denkt eher an Astroturfing, als an eine echte Widerstandsgruppe.

Die Internetgestaltung lässt deutlich erkennen, dass hier Fernsehleute am Werk waren, die vom Medium Internet nicht allzuviel verstehen.

Trotz dieser Schwächen ist dem  SWR  hier ein sehr ambitioniertes Projekt gelungen, das durchaus das Zeug hat, ein junges Publikum an die Problematik des Datenschutzes und des verbreiteten Überwachungswahns heranzuführen. Und es kommt., angesichts der Terrorpanik dieser Tage, zum rechten Zeitpunkt.

Eines habe ich aber immer noch nicht zufriedenstellend herausfinden können: Wieso kommt die Sendung Sonntags um 22:40 Uhr, und nicht zur Prime-Time?

Im Bett mit RTL II

In seinem jüngsten Kommentar zu der Sendung Tartort Internet-Schützt endlich unsere Kinder!, die in den vergangenem zwei Wochen bei RTL II zu sehen war, fragt Heinrich Wefing in der Zeit, ob es denn eine angemessene Sprache gäbe, um mit dem Thema Kindesmissbrauch im Netz umzugehen. Die Antwort darauf gibt er gleich selber:

Nach den Erfahrungen der letzten Jahre müsste man meinen: Nein. Wer immer eine solche Sprache versucht hat, deutlich und hörbar, der ist sofort unter Verdacht gestellt worden. Dem schlug der Vorwurf entgegen, vor allem auf persönliche Profilierung aus zu sein, den Kitzel des Widerwärtigen zu instrumentalisieren. So ist es der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen ergangen, als sie digitale Sperren gegen die Verbreitung von Kinderporno-Seiten im Internet forderte und damit einen hasserfüllten Widerspruch auslöste, eine gigantische Protestwelle, wie es sie gegen das Geschäft mit dem Missbrauch von Kindern im Netz noch nie gegeben hat.

Nun frage ich mich, ab wann Herr Wefing eine Äußerung zu diesem Thema als “hasserfüllt” ansieht. Schließlich ist es Frau von der Leyen gewesen, die mit falschen Zahlen argumentiert hat, gar einen kleinen diplomatischen Zwischenfall auslöste, als sie behauptete in Indien sei die Verbreitung und Herstellung von kinderpornographischem Material legal. Natürlich gab es, wie immer im Netz, ein paar Trolle, die sich groß rausbringen wollten, und die üblichen Flames losgelassen haben. Die Anti-Zensur-Bewegung, die sich schnell im Netz gebildet hatte, besteht jedoch vor allem aus Leuten, die zum einen das Sperren von Internetseiten für ein ungeeignetes Mittel halten, Kindesmissbrauch zu bekämpfen, und zum anderen einen Missbrauch der dafür aufzubauenden Infrastruktur befürchten. Unsachlich wurde die Debatte erst, als die Sperrbefürworter den Kritikern unterstellten, sie seien selbst persönlich an Bildern von Kindesmissbrauch interessiert. Die Standardformel lautete damals: “Es gibt kein Grundrecht auf Kinderpornos!”

Dass das nie jemand behauptet hatte zählte schon damals nicht. Der Zweck heiligt eben die Mittel. Im Bezug auf Frau zu Guttenberg und ihre Sendung bei RTL II scheint, zumindest wenn es nach Wefing geht, dasselbe zu gelten:

Ja, es gibt schnelle, aktionistische Schnitte in Tatort Internet, ja, es gibt emotionale Musik und eine ziemlich aufgedrehte Reporterin, die die potenziellen Kinderschänder zu stellen versucht (ohne ihre Identität preiszugeben) – aber es gibt eben auch Interviews mit Lehrern, Psychologen, mit Kriminologen, mit Fahndern, die ebenso gut in jedem öffentlich-rechtlichen Sender laufen könnten. Verbietet es sich aber automatisch, Emotion und Information miteinander zu verbinden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen?

Als Journalist sollte Herr Wefing diese Frage eigentlich mit einem klaren “Ja” beantworten, tut er aber nicht. Stattdessen vertritt er die Ansicht, dass es anders nicht ginge (nicht ohne noch die Piratenpartei ins Gespräch zu bringen). Natürlich kann man es gut finden, wenn eine Ministergattin ihr Gesicht für eine an sich so ehrenwerte Sache wie den Kinderschutz hergibt. Ob es der Sache allerdings nutzt, wenn diese sich dann mit dem Blut- und Tittensender RTL II gemein macht, darf durchaus bezweifelt werden.

Zumal die Sendung eben nicht von Interviews mit Lehrern, Psychologen und Kriminologen lebt, sondern von der gnadenlosen Bloßstellung der vermeintlichen Täter. Dass dabei die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen mit Füßen getreten werden, und ein Fernsehsender sich anmaßt die Rolle von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten gleichermaßen zu übernehmen, wird dadurch nicht besser, dass die Tat, die die vorgeführten Männer möglicherweise planten, diese dann zu verachtenswerten Individuen macht.

Die von Wefing als Rechtfertigung vorgebrachte Anonymisierung war wohl auch nur mehr ein Feigenblatt, einer der in der Sendung Vorgeführten wurde bereits während die Sendung noch lief, über Twitter und auf der Online-Plattform krautchan enttarnt. Selbst wenn Heinrich Wefing der Meinung wäre, das geschehe der Person schon ganz recht, was, wenn der Mob bei krautchan sich irrt, und den Falschen enttarnt? Fällt das dann unter “Collateral Damages”?

Ist die Sendung nun wenigstens ein Mittel, um an die Täter heranzukommen, wie Frau zu Guttenberg in der Sendung behauptet? Auch das ist mehr als fraglich, dürfte die Mehrheit der in der Sendung gezeigten Personen gar keine Straftat begangen haben: Das verabreden sexueller Handlungen mit realen Kindern ist nach §176  StGB, anders als in der Sendung behauptet, bereits strafbar. Bei der Verabredung mit vermeintlichen Kindern (also Personen die nur behaupten Kinder zu sein), gilt dies jedoch nicht. Ob in diesem Zusammenhang ein untauglicher Versuch vorliegt, müssen wohl Gerichte klären.

Wefing endet seinen Kommentar mit der impliziten Behauptung, dass die Kritiker der Sendung lieber auf die Persönlichkeitsrechte der vermeintlichen Täter pochen würden, als an Lösungen für die Frage, wie man gegen Kindesmissbrauch vorgeht, zu arbeiten. Das entzieht, ähnlich wie der Vorwurf, den Kritikern ginge es darum, selber ungestört Kinderpornographie konsumieren zu dürfen, einer sachlichen Debatte jede Grundlage.

Wenn man, wie Heinrich Wefing es tut, die Forderung nach einer Sprache aufstellt, in der man das Thema Kindesmissbrauch sachlich diskutieren kann, dann sollte man vielleicht bei sich selber anfangen zu suchen, und erst einmal emotional abrüsten. So sehr das Thema jedem einzelnen an die Nieren geht: Wohlfeile moralische Entrüstung ist ein ebenso schlechter Ratgeber, wie Angst und purer Aktionismus.

Sendungen wie “Tartort Internet” verquicken alle drei zu einem höchst unerfreulichen Brei, den letzten Endes diejenigen auslöffeln müssen, die hier vermeintlich beschützt werden sollen, nämlich die Opfer sexueller Gewalt.

Scham

Gestern war ich mit einer Freundin unterwegs, die demnächst umziehen will. Ich habe mit ihr die neue Wohnung angesehen, und die Küche ausgemessen, damit die anzuschaffende Einrichtung nachher auch passt.

Die Wohnung ist in einem typischen Reihenhaus. Gut gepflegt, in dem kleinen, aber hübschen Garten des Hauses blühen die letzten Rosen des Jahres, Weinlaub rankt sich über dem Sitzplatz im Innenhof.

Der Vermieter ist ein Herr mittleren Alters, der uns freundlich begrüßt. Er lebt mit seiner Familie in der oberen Wohnung des Hauses, erzählt, dass er 3 Kinder hat (weshalb es manchmal ein bischen lauter sein kann, das störe doch hoffentlich nicht?), und dass er Ingenieur ist. Eine typische deutsche Mittelstandsfamilie eben, auch wenn sie einen türkisch klingenden Nachnamen hat.

Wir messen die Wohnung aus, und klären Formalien. Meine Freundin freut sich über die Wohnung. Als wir uns verabschieden fällt unser Blick auf ein kleines Bild über der Eingangstür. Es zeigt mehrere arabische Schriftzeichen in zwei leicht überlappenden goldenen Kreisen. Der Vermieter erklärt uns, dies sei ein Segenswunsch, den man in vielen arabischen Ländern, und auch in der Türkei, gern über dem Eingang aufhängt, der Spruch wünsche dem Haus und seinen Besuchern Gottes Segen. Ich fühle mich irgendwie an den extrem häßlichen Engel erinnert, den meine Nachbarn, zum selben Zweck, über ihrer Tür hängen haben. Den finde ich sogar noch eine Nummer  kitschiger als diesen Schriftzug.

Dann beeilt sich der Vermieter uns zu versicheren, dass er und seine Familie ja mit irgendwelchem Islamismus nichts zu tun hätten, und sie -obwohl sie Moslems seien- natürlich nichts von Al-Kaida und Co. halten. Ich höre ihm zu. Und ich schäme mich. Da steht dieser Mann in seinem eigenen Haus, und rechtfertigt sich bei mir, einem Fremden, für seine Religion.

Plötzlich sind Muslime in diesem Land nicht mehr Familenväter, Ingenieure, Hausbesitzer, sondern eben vor allem: Muslime. Die Debatten über “Integration” und “Kopftuchmädchen”, wie sie von Thilo Sarrazin geführt werden, setzen Menschen muslimischen Glaubens unter Druck, so sehr, dass viele glauben sich für Ihre Religion entschuldigen oder rechtfertigen zu müssen. Islam = Terrorismus, lautet die Formel, die da aus den rechtskonservativen Lagern dröhnt. Für den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders ist die bürgerliche Existenz nur Fassade, hinter der der böse Muselmann lauert, der nur darauf wartet Deutschland und Europa zu “Islamisieren”. Die Einwanderer seien nicht etwa gekommen, um sich ein besseres Leben aufzubauen, sie seien Teil einer Invasionsarmee, deren Masterplan es sei, dieses Land zu übernehmen, und die Scharia einzuführen.

Anstatt diese kruden Verschwörungstheorien als dass zu brandmarken was sie sind, krude Verschwörungstheorien eben, werden sie in Sonntagabendtalkshows breitgetreten, und in den Massenmedien weiterverbreitet. Gewiß, Geert Wilders, Thilo Sarrazin und ihre Brüder im Geiste werden nicht müde zu erklären, dass sie keine Nazis sind, und ideologisch sind sie das auch nicht, aber die Saat die sie säen trägt dieselben bitteren Früchte.

Ich habe mich bislang nie geschämt, für das Land aus dem ich komme. Jetzt gerade tue ich das.

Wir sind parallel

Heute morgen am Frühstückstisch entspann sich zwischen Bella und mir ein Gespräch über Integration und Parallelgesellschaften in Deutschland. Anlaß war ein Interview mit dem Leiter des Bremer Ortsamts West, Hans-Peter Mester, im Weser-Kurier vom vergangenen Donnerstag. Der Artikel ist leider  nicht online verfügbar.

Meser stellt darin sehr sachlich, und erfrischend unaufgeregt, fest, dass es in “seinem” Stadtteil, Gröpelingen, selbstverständlich Parallelgesellschaften gibt. Der bremer Westen war mit den Werften AG-Weser und Bremer Vulkan in Gröpelingen und den Häfen in Walle ein Zentrum deutschen Schiffbaus und Handels. Dazu gibt es in Gröpelingen ein großes Stahlwerk. Das hat, ganz besonders natürlich in den Jahren des Wirtschaftswunders, viele Menschen angezogen, denn hier gab es Arbeit und die Hoffung auf ein besseres Leben.

Heute sind die meisten Häfen weg, die Werften längst Geschichte. Geblieben sind die Zuwanderer. Auch heute noch ziehen viele Menschen mit türkischem Hintergrund hierher. Für Mester ist das selbstverständlich, schließlich leben dort schon viele Menschen, die türkisch sprechen, und den Neuankömmlingen helfen können. So bilden sich die Parallelgesellschaften von ganz allein. In Bremen-Gröpelingen leben die Menschen verschiedener Kulturkreise nicht in sozialromantischer Verklärung miteinander, sie leben in großen Teilen einfach nebeneinander her, aber in friedlicher Koexistenz.

Die Frage, die sich mir stellte ist die: Ist das denn ein Problem, dass nur die Migranten trifft? Sind wir, z.B. die Nerds, nicht auch eine Parallelgesellschaft? In vielen Bereichen schotten wir uns ab, gegenüber den “Anderen”. Ich spreche oft eine Sprache, die die Nicht-Nerds nicht verstehen, und verzweifle an dem Versuch die Sorgen mancher Mitmenschen zu begreifen. Ich kann meiner Oma nicht erklären was der 27C3 ist, denn sie lebt in einer gänzlich anderen Welt als ich. Ich bin sicher, den meisten anderen Menschen in diesem Land geht das, in vielen Bereichen ihres Lebens ebenso. Wir leben alle in unseren kleinen Parallelgesellschaften, die manchmal geprägt sind, von Dingen die uns persönlich wichtig sind, manchmal von sozialen Unterschieden und manchmal vom Grad der eigenen Bildung.

Hier im bremer Westen leben Ärzte und Arbeiter Tür an Tür, man kennt sich, man respektiert einander, man grüßt. Aber ein Miteinander ist das nicht, auch nur ein Nebeneinander. Der Arzt geht eben in der Regel nicht mit dem Schichtarbeiter der Stahlwerke nach Feierabend ein Bier trinken. Unsere Gesellschaft ist geprägt von solchen kleinen, völlig unterschiedlichen Lebenswelten. Will man positiv darüber reden, nennt man das “Pluralismus”.Die von Konservativen viel beschworene “Mehrheitsgesellschaft”, hier im Bremer Westen gibt es sie nicht.

“Six degrees of Seperation” nennt sich eine Theorie, nach der sich zwischen zwei beliebigen Menschen eine Verbindung herstellen lässt, die nur über Menschen führt, die einander kennen. Maximal sechs Menschen, so die Theorie, stehen zwischen zwei beliebigen, einander unbekannten Individuen auf dieser Welt. Empirische Studien haben gezeigt, dass die These stimmt, allerdings kristallisiert sich heraus, dass über manche Menschen mehr dieser Verbindungen laufen, als über andere. Es gibt Menschen, die sind mit vielen anderen vernetzt, sie sind die Schnittpunkte zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, weil sie Kontakte in Gruppen haben, die eigentlich gar nichts mit einander zu tun haben. In der Netzwerktheorie heißen solche Knotenpunkte “Hubs”. Die einzelnen Gruppen einer Gesellschaft sind durch solche Hubs mit einander vernetzt, über sie funktioniert die Kommunikation. Das “Integrationsproblem” entsteht in einer Gesellschaft immer dann, wenn man eine gesellschaftliche Gruppe nicht  erreichen kann, weil es gar keine Hubs gibt, die in diese Gruppe hineinführen. Um die Gruppe als solches zu erreichen, ist es daher gar nicht nötig, jeden einzelnen zu erreichen, die Schaffung von ausreichend “Hubs” genügt. Damit kann dann der nötige Einfluß in eine Gruppe getragen werden, damit zumindest eine friedliche Koexistenz, besser noch ein “Miteinander” ermöglicht wird. Leider hat unsere Gesellschaft die Tendenz gerade diese Knotenpunkte aufzulösen, und somit Parallelgesellschaften zu schaffen, die nicht mehr über Hubs mit dem Rest der Gesellschaft verbunden sind. Dabei geht es nicht nur um vermeintlich oder tatsächlich “integrationsunwillige” Ausländer, sondern auch um Langzeitarbeitslose, alleinerziehende Mütter, Menschen mit Behinderungen und so fort, auf der anderen Seite stehen Banker, Politiker, Ärzte deren Integrationsunwilligkeit eigentlich ebenso zu beklagen wäre, weil sie auch nicht bereit sind, Verbindungen in andere Gruppen zu schaffen.

In einer Zeit, in der uns die Technik die Vernetzung so leicht macht, wie noch niemals zuvor, zeichnet sich ein gefährlicher gesellschaftlicher Trend ab, nämlich der Zerfall einer vernetzten Gesellschaft im viele kleine Parallelgesellschaften, die zwar untereinender, aber mit anderen  gar nicht mehr kommunizieren. Die Ausländerpolitik ist hierbei nur ein Beispiel von vielen. Will man daran etwas ändern, muss man überall dort ansetzen, wo Hubs entstehen. In Kirchen, in Moscheen, in Vereinen und in Schulen. Die Vernetzung von Gruppen zu fördern ist aber eine mühsame Arbeit, weil man dahin gehen muss, wo die Menschen sind. Man muss sich öffnen, für die anderen, zuhören. Ein Patentrezept, das man stolz der Öffentlichkeit präsentiert, und das eine tolle Schlagzeile macht, gibt es hingegen nicht. In unserer von Aufmerksamkeitsökonomie geprägten Welt, ist wird es schwer sein, dafür Unterstützung zu gewinnen.

Bitte nicht füttern!

troll [1], verb, engl. “trällern”: Ein Posting in einer Usenet-Gruppe veröffentlichen, dass den einizgen Zweck hat, möglichst viel, vorzugsweise wütende Antworten (Flames) zu produzieren. Ziel des Trollens ist nicht das Anstoßen einer Diskussion, sondern lediglich die Aufmerksamkeit der Leser.  Mit dem wachsenden Erfolg des World Wide Web fand das Trollen auf auch Einzug in die Gesellschaft.

Troll [1], subst., m.: Der T. ist jemand, der der Tätigḱeit des trollens [1] frönt. T.s finden sich in allen größeren Internetforen, im Usenet, aber in der Zeit von Web 2.0 auch vermehrt in den Kommentarsektionen von Blogs und Communities. Der T. schreibt zwar häufig und viel, aber nie Substantielles. Um möglichst viele emotionale Reaktionen zu bekommen, bedient der T. sich bevorzugt saukontroverser Themen, seine vertretene Meinung wechselt er dabei regelmäßig. Der T. vertritt nicht seine persönliche Meinung, sondern eine, von der er glaubt in der Umgebung, in der er postet, den größten Effekt zu erzielen. Da Trolle nur auf die Aufmerksamkeit der anderen Netznutzer aus sind, ist der Versuch einer Diskussion aussichtslos, es ist besser sie zu plonken. Antwortet jemand auf einen T.-Beitrag, sagt man er füttere den T. T.-Füttern ist im Netz eine verpönte Tätigkeit, die bei Netizens fast so unbeliebt ist, wie das Misshandeln von Katzen.

Warum ich das jetzt schreibe? Wegen dem hier. Der ist nämlich ein Real-Life-Troll. Mit ein paar substanzlosen Thesen, ven denen er genau weiß, dass die öffentliche Meinung hochkocht, verschafft er sich Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, die er gut brauchen kann, hat der doch gerade ein Buch geschrieben, das vermutlich sonst kaum jemanden interessiert werden.

Automatisch böse?

Gerade bloggt Fefe über einen Text, der in der jüngsten Ausgabe der Zeit erschienen ist:

Erinnert ihr euch noch an die Zeit, als die “Zeit” als liberales Blatt galt? Als Gegenstück zur rechtskonservativen FAZ? Heute hetzt die “Zeit” gegen De Maiziere, weil er ihnen zu “soft on crime” ist und die FAZ befürwortet das bedingungslose Grundeinkommen. WTF? Gut, die FAZ hetzt auch für Internetzensur. Wer würde schon angepasste Hofberichterstattung wie die FAZ zensieren, gell? Das kann ja nur zu deren Vorteil enden, wenn der Staat eine Zensurinfrastruktur aufbaut! Deren einzige echte Bedrohung ist noch angepasstere Hofberichterstattung wie beim ZDF, daher auch die Speicherlimit-Initiative.

Ich weiß nicht welchen Artikel Fefe gelesen hat, aber scheinbar nicht den, den ich unter dem angegebenen Link gefunden habe. Der Beitrag von Wolfgang Kumm behandelt nämlich den aktuellen Zustand der Union, und ihre Position bei Wählern und Anhängern. Kumms These ist, dass die CDU durch den Versuch stärker in die Mitte zu rücken, und es allen recht machen zu wollen, ihren Zuspruch bei konservativen Wählern verliert.

Dabei vertritt Kumm die Meinung, dass die Union durch ihren Linksruck wichtige Positionen im Bereich der inneren Sicherheit aufgegeben habe, und hält dies für fatal. Wolfgang Kumm vertritt die Ansicht, dass eine pluralistische Gesellschaft eine strenge Sicherheitspolitik braucht, um die gesamtgesellschaftlichen Regeln auch druchzusetzen, und sieht genau darin eine Aufgabe der Konservativen. Darüber kann man anderer Auffassung sein, Hetze ist das nicht. Die übrigen vertretenen Thesen, z.B. zu Internetsperren, macht der Autor sich gar nicht zu eigen, sondern analysiert hier lediglich den Zustand der Union. Ein wenig mehr Differenzierung würde Fefe hier ganz gut tun.

Entsprechend wichtiger finde ich das Resümee, dass Kumm in seinem Artikel zieht:

Die CDU ist drauf und dran, den Platz rechts von sich selbst frei zu machen. Das ist, wie gesagt, bei manchen Themen unausweichlich, bei der Inneren Sicherheit ist es unnötig und demokratisch höchst riskant. In unseren europäischen Nachbarländern erstarken seit Jahren die rechtspopulistischen Kräfte. Bisher war Deutschland dagegen immun. Doch wenn die Union so weitermacht, dann entsteht ein Vakuum, das sich früher oder später füllen wird

Damit hat er Recht, und das ist etwas, dass auch mir Sorgen bereitet. Die alte Weisheit von Franz-Josef Strauss, rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierten Parteien mehr geben, hat nach wie vor ihre Berechtigung. Ich mag die CDU/CSU nicht, aber mir ist klar, dass wir eine konservative Partei brauchen, die fest auf dem Boden des demokratischen Rechtsstaates steht, damit die Wähler am rechten Rand nicht zu NPD und Korsorten abwandern. Diese Rolle mag die Union in letzter Zeit nicht mehr übernehmen, und das als bedenklich zu benennen ist legitim, und sogar wichtig.

Ich lese die Zeit schon deswegen regelmäßig, auch weil sie solchen Positionen einen Platz einräumt. Auch wenn ich die Meinung, die Wolfgang Kumm hier vertritt nicht teilen kann, finde ich es wichtig, und richtig, dass eine liberale Zeitung ihm Platz einräumt.

Die Aufgabe einer liberalen Zeitung ist es nicht, eine mir genehme Meinung zu verbreiten, dafür haben wir die Bild, und den restlichen Gossenjounralismus. Ihre Aufgabe ist es vielmehr mich mit so vielen Standpunkten und Meinungen wie möglich zu versorgen, damit ich mir ein eigenes Bild machen kann. Bewerten kann ich dann selber.

Barrierefreiheit und Netzneutralität

Markus Beckedahl hat in seiner Antwort auf Fefes Rant gegen die Initiative Pro-Netzneutralität auf den Punkt eingegangen, dass Fefe sich so an dem Begriff der Barrierefreiheit stört. Markus schreibt dazu:

P.S. Nur mal so am Rande: Das mit der großen Kritik an dem Wort “Barrierefreiheit” in der Erklärung hab ich nicht ganz verstanden, da ich das Wort bei mehrmaligem lesen nicht gefunden habe. Kann mir das mal jemand erklären? Lösung: In der Definition von Netzneutralität auf der pro-netzneutralitaet.de – Seite kommt barrierefreiheit vor. Das verstehe ich auch nicht. (Die Definition wurde den Erstunterzeichnern auch nicht vorgelegt.)

Ich halte es für richtig, im Rahmen der Argumente pro Netzneutralität auch auf die Barrierefreiheit einzugehen. Zunächst mal bezieht sich die Barrierefreiheit natürlich auf die Gestaltung von Webseiten, und die damit verbundenen Techniken, Inhalte maschinenlesbar, und damit zum Beispiel für Screenreader lesbar zu machen. In den meisten Fällen wird da in diesem Falle mit sehbehinderten oder blinden Menschen argumentiert, für die diese Techniken sehr wichtig sind.

Es gibt aber darüber hinaus noch eine Menge anderer Bereiche, die für ein wirklich barrierefreies Netz wesentlich sind, schließlich wird das Netz nicht nur von blinden und sehenden Menschen genutzt, sondern auch von Menschen mit ganz anderen Beeinträchtigungen.

Ein Beispiel, dass an Markus Beispiel Skype anknüpft, soll dies verdeutlichen: Ich lerne selber seit einigen Jahren die deutsche Gebärdensprache, und habe dadurch natürlich auch einen kleinen Einblick in die Gehörlosencommunity bekommen. Die Gehörlosen haben das Internet als Kommunikationsmedium für sich sehr schnell entdeckt, und machen eifrig Gebrauch davon. Das sehr text- und wenig tonlastige Internet scheint auch auf den ersten Blick ideal geeignet zu sein. Trotzdem gibt es Probleme, die man als Hörender oft nicht wahrnimmt. So haben viele Gehörlose Probleme mit der deutschen Schriftsprache. Das liegt zum einen daran, dass Gehörlose in der Bildung noch bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein massiv diskriminiert wurden, weil als Unterrichtsschwerpunkt an Gehörlosenschulen der Erwerb der Lautsprache im Vordergrund stand, andere Unterrichtsinhalte wurden den Schülern schlicht vorenthalten. An der Mehrzahl der Schulen wird der Unterricht noch heute in Lautsprache gehalten. Dazu kommt, dass für Gebärdende die deutsche Sprache eine Fremdsprache ist, die sie ebenso mühsam lernen müssen, wie wir Englisch oder Französisch lernen. Dienste wie Skype, oder das in Deutschland unter Gehörlosen sehr beliebte Programm CamFrog stellen eine gute Alternative dar. Hier ermöglicht das Internet eine einfache und leicht zu handhabende Kommunikation, wie sie für Hörende das Telefon darstellt.

Wenn nun die Netzneutralität aufgegeben wird, fällt diese Kommunikationsform schlicht weg. Man sollte nicht davon ausgehen, dass die Zugangsanbieter ein Intresse an der Durchleitung der Videodaten von CamFrog hätten. Der Markt für solche  besonderen Bedürfnisse ist einfach zu klein, als dass große Konzerne ein Interesse daran hätten, hierfür eigene Dienste anzubieten, oder sich auch nur die Mühe der Durchleitung zu machen. Wenn sie die Daten weiterleiten würden, wäre dies vermutlich so teuer, dass die meisten Betroffenen es sich nicht leisten könnten. Ich bin überzeugt, dass es viele Fälle gibt, bei denen ich mich nicht so gut auskenne, wo ähnliche Auswirkungen auch für andere Minderheiten zutreffen. So wird aus einer Diskriminierung von Daten dann eine Diskriminierung von Menschen um realen Leben.

Deswegen halte ich es für richtig, den Begriff der Barrierefreiheit mit in den Katalog der Argumente aufzunehmen, denn ohne Netzneutralität kann es auch keine Barrierefreiheit geben.

Vor Gebrauch schütteln, nach Schütteln nicht mehr zu gebrauchen

Im Rahmen der aktuellen Sparpakete wurden aus der Bundesregierung Überlegungen laut, die Homöopathie als Therapieform aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen zu streichen.

Bislang ist die Erstattung für homöopathische Behandlungen eine sog. Wahlleistung, d.h. die Kassen können die Leistung bezahlen, wenn sie dies anbieten möchten. Dies ist ein Unikum im deutschen Kassensystem, den eigentlich dürfen nur Leistungen der sog. evidenzbasierten Medizin erstattet werden, also solche, deren Wirksamkeit mit wissenschaftlichen Methoden verifizierbar ist. Homöopathie erfüllt dieses Kriterium nicht. Aber was ist eigentlich Homöopathie?

Die Homöopathie (griech. homoios=ähnlich, pathos=Leiden)  wurde  1796 von dem deutschen Mediziner Samuel Hahnemann entwickelt. Sie basiert auf dem  Simile-Prinzip “Simile similibus curentur” (”Ähnliches wird mit ähnlichem geheilt”), wie es in Ansätzen schon bei Paracelsus zu finden ist. Dabei geht man davon aus, dass eine Substanz, die beim Gesunden ähnliche Symptome hervorruft, wie sie der Kranke hat, beim Kranken die umgekehrte Wirkung haben müsse.

Das Simile-Prinzip geht auf einen Selbstversuch Hahnemanns zurück, bei dem er heraus fand, dass die Rinde des gelben Chinarindenbaumes (Cinchona offincialis), Fieber hervorzurufen vermag. Schon damals war bekannt, dass die Rinde, aus der später auch die Arznei Chinin gewonnen wurde, gegen die gefürchtete Malaria wirkt. Nach vielen Experimenten mit diesem und anderen Stoffen kam Hahnemann zu dem Schluß, dass Ähnlichkeitsprinzip müsse Gültigkeit haben, und postulierte es als Grundpfeiler seiner neuen Medizinlehre.

Die Arzneimittelprüfung in der Homöopathie wird üblicherweise am Gesunden durchgeführt. Treten bei diesem nach der Einnahme des Mittels ähnliche Symptome wie bei der Krankheit auf, die bekämpft werden soll, ist das Mittel richtig gewählt.

Die Potenzierung soll die Wirkung des Medikamentes verstärken. Dabei wird die Ausgangssubstanz (sog. Urtinktur) mehrfach im Verhältnis  1:10 (D-Potenz) 1:100 (C-Potenz) oder 1: 50.000 (Q- oder LM-Potenz) in Wasser oder Alkohol verdünnt. Dazwischen muss, je nach Art des Medikaments, die Lösung geschüttelt werden. Dabei ist die Anzahl  der Schüttelschläge  genau vorgegeben. Hierdurch soll die Wirkung er Urtinkur auf das Lösungsmittel übertragen werden.

Bei einer D30 Potenz wird also ein Teil der Urtinktur mit zehn Teilen Lösungsmittel verdünnt, anschließend wird die Lösung geschüttelt (im Falle einer D-Potenz: 10 mal). Dieser Vorgang wird 30 Mal wiederholt, wobei die Ausgangsubstanz jeweils die sich ergebende Lösung des vorherigen Durchlaufes ist.

In der modernen Medizin (von Anhängern der Homöopathie gern “Schulmedizin” genannt), gilt die Homöopathie als wirkungslos. Trotz zahlreicher Versuche konnte bislang keine Wirkung nachgewiesen werden. Die “Schulmedizin” legt die Latte bei der Arzneimittelprüfung allerdings auch höher als die Homöopathie: Eine Arznei gilt als wirksam, wenn in einer Doppelblindstudie erwiesen wurde, dass es eine signifikant höhere Wirkung gibt, als bei der Kontrollgruppe, die ein Placebo erhält. In keinem dieser Tests konnten homöopathische Präparate bislang eine Wirkung nachweisen.

Noch schlimmer steht es um das hinter der Homöopathie stehende Wirkmodell:

Das Simile-Prinzip wird dadurch durchbrochen, dass dem Patienten der eigentliche Wirkstoff gar nicht verabreicht wird: Schon bei einer Potenz von D23 ergibt sich, dass die Wahrscheinlichkeit, dass auch nur ein einziges Molekül der Ursprungssubstanz in der Lösung verbleibt, gegen Null strebt. Dies lässt sich aus dem Avogadro-Gesetz und der Stoffmenge herleiten. Der Wirkstoff selber kann also nicht an der Heilung beteiligt sein. Daher argumentieren die Anhänger der Homöopathie, dass die erwünschte Wirkung der Urtinktur sich durch das Schütteln auf das Wasser übertrage.

Damit verlässt die Homöopathie aber endgültig den Boden des Rationalen, und begibt sich, wissenschaftstheoretisch auf brechendes Eis: Weder in der Chemie, noch in der Physik ist ein Verfahren bekannt, bei dem durch schütteln eine Eigenschaft von einem Molekül auf ein anderes übertragen wird. Die bekannten Gesetzte der Physik und der Chemie schließen eine solche Übertragung sogar aus: Die chemischen und physikalischen Eigenschaften einer Substanz sind direkt gekoppelt an ihre chemische Struktur.   Fragt man Anhänger der Homöopathie nach dem physikalischen Prinzip dieser Eigenschaftenübertragung, ist oft etwas diffus von “Energien” die Rede, die auf das Wasser übergingen.

Tatsächlich kennt die Physik nur einen Weg Informationen von einem Medium auf ein andere zu übertragen: Durch die Übertragung von Energie. Eine solche ist beim Vorgang des Potenzierens aber nicht beobachtbar. Hinzu kommt, dass die Homöopathie behauptet, die Wirkung des Medikaments steige mit höherer Potenzierung an. Wenn hierbei eine Energie vom Ausgangsstoff auf das Lösungsmittel übertragen würde, gibt der erste Hauptsatz der Thermodynamik aber vor, dass die vorhandene Energie im Gesamtsystem (Urtinktur und Lösung) gleich bleiben müsse. Um die Wirkung zu verstärken müsste man demzufolge von außen Energie zuführen und diese in die gewünschte “Wirkenergie” zu wandeln. Hält man sich vor Augen, dass eine Potenz von D78 etwa der Stoffmenge einer Aspirintablette auf der Wassermenge des Atlantischen Ozeans entspricht, wird klar, dass man gewaltige Mengen an Energie bräuchte um den postulierten Effekt zu erzeugen.

Da die Behauptungen der Homöopathie hier also im direkten Widerspruch zur Physik stehen, muss -aus homöopathischer Sicht- das Modell der Physik falsch sein. Es ist zwar üblich, und auch gewollt, dass in der Wissenschaft neue Theorien alte ablösen, aber die wissenschaftliche Erkenntnistheorie verlangt, dass eine neue Theorie all das erklären muss, was die Theorie, die sie ablösen soll, korrekt beschreibt. In unserem Fall bedeutet das, dass die Homöopathie nun in der Bringschuld ist, eine Alternative zum ersten Hauptsatz der Thermodynamik zu bringen, die den bisherigen Erfolgen dieser Theorie standhält. Angesichts der Tatsache, dass dieser Satz einer der Grundpfeiler der klassischen Physik ist, und damit eine Menge davon abhängt, ist das eine große Aufgabe.

In der Wissenschaft ist es im übrigen üblich, dass derjenige, der einen These aufstellt, in der Bringschuld ist. Es ist also an den Homöopathen ihre Thesen zu belegen, nicht an den Skeptikern, sie zu falsifizieren.

Die Homöopathie kann sich also letztlich nur auf den Glauben an ihre Wirksamkeit zurückziehen. Für die Leistungserbringung durch eine von einer Solidargemeinschaft getragene Krankenversicherung ist dass zu wenig. Da nicht alle Versicherten auch “Gläubige” sind, die Kassen aber Rechenschaft ablegen müssen über die Verwendung der Gelder, können nur Leistungen erbracht werden, deren Wirkungen für die Versicherten objektiv überprüfbar sind.

In einem Punkt sollte die “Schulmedizin” aber von Homöopathen und Heilpraktikern lernen: Diese nehmen sich in der Regel viel Zeit für ihre Patienten, hören zu, und geben den Patienten das Gefühl mehr zu sein als eine biologische Maschine die funktionieren muss. Dadurch entsteht ein Gefühl des Vertrauens und des Geborgenseins beim Patienten. Und das eine solche Umgebung der Heilung zuträglich ist, ist durchaus wissenschaftlich belegbar. Die Kassen sollten die Zahlung homöopathischer Therapien einstellen, und dafür den Ärzten ein ausführliches Patientengespräch vergüten. Manche “schulmedizinische” Pille wird dann vielleicht auch überflüssig.

Ein hässliches Wort

Ich bin heute beim stöbern in den Blogs auf einen Beitrag von Lena Chen gestossen, in dem es um ein Thema geht, dass offensichtlich in den USA für manche ein wichtiges ist: Interacial dating. Der Begriff bezeichnet das romantische Treffen (dating), oder eine Beziehung zwischen zwei Menschen unterschiedlicher “Rassen”.
Ich finde diesen Begriff sehr abstoßend, zum einen weil er -objektiv gesehen- falsch ist, und zum anderen, weil ich ihn für sehr rassistisch halte. Falsch ist er deswegen, weil er impliziert, dass es so etwas wie Rasse überhaupt gibt. Die moderne Biologie benutzt den Begriff analog zur Subspezies, und da ist es in der modernen Biologie so, dass diese Einheit der Taxonomie alle Menschen in der Subspezies Homo sapiens sapiens zusammenfasst. Als biologisches Konstrukt ist sie ohnehin nicht mehr als eine Konvention, und nicht wenige Biologen bevorzugen es von Populationen zu sprechen.
Auf den Menschen bezogen ist die Rasse als biologisches Merkmal objektiv nicht existent, existieren tut sie daher nur als soziales Konstrukt. Als soziales Konstrukt existiert sie allerdings vor allem in der Form des Rassismus, als eine Rechtfertigung, dass einige Menschen sich anhand willkürlich herausgegriffener Merkmale über andere erheben.
Bis hierher ist das nicht neu, aber es führt zu dem Grund, warum mich der Begriff des “interacial dating” so stört: Es verhilft eben diesem Rassismus zu einer scheinbaren Wahrheit, die ihm nicht innewohnt, und die ihm auch nicht gebührt.
Zum anderen gefällt mir der Begriff nicht, weil er die Einteilung in unterschiedliche Rassen unhinterfragt akzeptiert, und verdeutlicht wie sehr diese Art zu denken in den Köpfen verwurzelt ist.
Natürlich ist es unzweifelhaft so, dass Beziehungen zwischen Menschen, die unterschiedliche kulturelle Hintergründe haben, mitunter schwierig sein können, aber mit der Rasse hat das nichts zu tun.
Lena Chen, die sich von den Rasseideologien offenbar nicht blenden lässt, schreibt dazu:

But on the flip side, since most of my good friends from college come from totally different backgrounds (a good thing, I think!), then there ought to be no reason why I wouldn’t be able to have an equally intimate romantic relationship with someone who isn’t Asian or first generation American. So Patrick may not know firsthand what it’s like to be Asian, but neither do my best friends from Harvard, one of whom is a gay White male and the other a Black woman who grew up a Southern Baptist. (Talk about radically different life experiences!)

Nun glaube ich kaum, dass Lena sich auf ihren kulturellen Hintergrund bezieht, wenn sie sich selbst als “Asian” bezeichnet (sie ist ja Amerikanerin), sondern vor allem auf ihr äußeres Erscheinungsbild, und damit auf die Reaktionen ihrer Umwelt auf ihr asiatisches Aussehen. In dem Zusammenhang denke ich vor allem an den versteckten und offenen Rassismus der vielen Menschen tagtäglich entgegenschlägt, und den man sich  als Weißer nur schwer vorstellen kann.
Sowohl derartiger Rassismus, als auch die Gegenbewegung der Opfer, die leider allzuoft darin besteht sich als soziale Gruppe von anderen “Rassen” abzuschotten, werden von einem Wort wie “Interracial Dating” zementiert.

“Wir wissen doch am besten was gut für dich ist”

Das belgische Unterhaus hat am vergangenen Freitag einstimmig für ein Gesetz gestimmt, dass die Vollverschleierung von Frauen, bei der auch das Gesicht verschleiert wird, vollständig verbietet. Zuwiderhandlungen können mit bis zu 140€ oder 7 Tagen Gefängnis bestraft werden.
Ziel des Gesetzes ist ein umfassendes Verbot der, in einigen Kulturen üblichen, Verschleierung wie zum Beispiel der in Afgahnistan verbreiteten Burka, einem Kleidungsstück das im Westen vor allem mit dem Terrorregime der Taliban in Verbindung gebracht wird. Auch der Niqab, der anders als die Burka kein vollständiges Gewand ist, sondern ein Tuch das der Verschleierung des Gesichts dient, und meist zusammen mit einem weiten Gewand und einem Kopftuch getragen wird, soll von dem Verbot betroffen sein.

Daniel Bacquelaine, Fraktionschef der liberalen belgischen Partei MR, der Maßgeblich an dem entstehen des Gesetzes mitgewirkt hat, sagte, die Vollverschleierung von Frauen sei ein Verstoß gegen die Grundwerte der belgischen Gesellschaft.
Wasser auf die Mühlen der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien. So hieß es von der rechtsextremen flämischen Partei Vlaams Belang, das Gesetz sei “erster Schritt gegen die Islamisierung Belgiens”.

Auch andere europäische Länder planen ein Verbot des Kleidungsstückes. Auch in Deutschland ist die Diskussion mittlerweile angekommen. Silvana Koch-Mehrin (FDP) die Vizepräsidentin des EU-Parlaments wünscht sich, dass das Gesetz in ganz Europa durchgesetzt wird. Der Bild am Sonntag sagte sie:

Ich wünsche mir, dass auch in Deutschland und in ganz Europa das
Tragen aller Formen der Burka verboten wird. Wer Frauen verhüllt, nimmt
ihnen das Gesicht und damit ihre Persönlichkeit.

Aus westlicher Perspektive ist dies sicher erst einmal richtig. Aus solchen Worten spricht zunächst erst einmal das westliche Selbstverständnis von Frauen, über ihren eigenen Körper, und damit auch über dessen Erscheinungsbild, frei und unabhängig verfügen zu dürfen. Vor allem vor dem Hintergrund des archaischen Weltbildes der Taliban, durch die Kleidungsstücke wie die Burka im Westen zu trauriger Berühmtheit gelangten, ist diese Form der Bekleidung als Symbol der Unterdrückung von Frauen  für eine freiheitliche Gesellschaft nicht tolerierbar. Und doch steckt das Burka-Verbot gerade deshalb voller Widersprüche. Für Koch-Mehrin, und viele andere Befürworter eines Vorbots, begründet sich das Verbot damit, dass das erzwungene Tragen eines Schleiers das Recht der Frau auf die Verfügungsgewalt über ihren eigenen Körper einschränkt.
Genau da liegt aber das Problem: Mit dem Verbot der Burka, geht man gegen diese Beschneidung der Persönlichkeitsrechte von Frauen vor, in dem man eben diese Persönlichkeitsrechte an anderer Stelle beschneidet: Die Entscheidung ihr Gesicht nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen, wird den betroffenen Frauen damit nämlich genommen. Eine Unfreiheit also mit einer anderen bekämpft.
Das das nicht bloß Theorie ist, kann man schön sehen, wenn man ein Beispiel des US-amerikanischen Bloggers Jeff Jarvis heranzieht, dass dieses als das German-Paradox bezeichnet hat: Einerseits wird in Deutschland viel Wert darauf gelegt, dass persönliche Daten vertraulich bleiben, andererseits ist es in Deutschland völlig normal, in eine gemischte Sauna zu gehen, ohne sich dabei seiner Nacktheit zu schämen. Für einen US-Amerikaner wäre Letzeres unvorstellbar: Das Tabu der Nacktheit ist dort so groß, dass es schambesetzt ist, mit Männern und Frauen in der gleichen Sauna zu sitzen.
Nun würde vermutlich keiner auf die Idee kommen, Amerikanern in Deutschland das Benutzen von getrennten Saunen zu verbieten.
Für Menschen, die in einem Kulturraum groß geworden sind, in dem das Zeigen des unverhüllten Gesichts entsprechend schambesetzt ist, kommt ein Verbot des Schleiers etwa einer gesetzlichen Verpflichtung gleich, nackt herumzulaufen.
Das Gesetz schränkt also nicht nur die Freiheit der betroffenen Frauen ein, es demütigt sie zudem noch.

Als Atheist stehe ich religös begründeten Bekleidungsvorschriften grundsätzlich sehr kritisch gegenüber, und auch ich sehe diese Vorschriften in vielen Bereichen als ein Instrument männlicher Herrschaft an, das entgültig in die Mottenkiste der Geschichte gehört; zusammen mit Genitalverstümmelung und dem chinesischen Fußbinden (das es zum Glück seit 60 Jahren nicht mehr gibt).
Allein zweifle ich, das der Weg eines radikalen Verbots daran etwas ändern wird. Stattdessen erreicht so ein Verbot nur, dass Frauen, die eventuell schon in ihrem Umfeld unter gewaltigem sozialen Druck stehen, noch mehr unter Druck gesetzt werden, weil sie nun widersprechenden Regeln folgen müssen: Dem von ihrem sozialen Umfeld auferlegten Zwang zum Schleier, und dem Verbot diesem Zwang nachkommen zu dürfen.
Für viele wird das Gefühl der Demütigung dazu kommen, wenn sie vom Staat praktisch aufgefordert werden, sich in aller Öffentlichkeit nackt zu zeigen. In den Bereichen, in denen entsprechende Werte gelebt werden, könnte dies dazu führen, dass die Frauen praktisch unter Hausarrest gestellt werden, was der Idee der Integration nicht gerade förderlich wäre.
Und zu guter Letzt wird diese Diskussion in epischer Breite von allen gesellschaftlichen Schichten geführt, nur die Frauen um die es geht, die haben mal wieder keine Stimme.
Ich habe noch keinen einzigen Kommentar von einer Frau in den Medien gehört, die selbst eine Burka oder einen Niqab trägt, und ihre Meinung dazu vertritt.
Aus dieser Haltung spricht nicht nur eine gehörige Portion Arroganz, sondern auch die Angst vor dem Islam. Es sind weniger die Rechte der Frauen, die hier im Vordergrund stehen, als die eigene Angst und Verunsicherung. In Belgien, das selbst stark mit seiner inneren Zerrissenheit kämpft, ist vermutlich auch eine Menge Politik im Spiel: Lenke den Zorn des Volkes ab, vom eingenen Unvermögen.

Selbstauskunft bei Datenkraken

Seit dem 1. April diesen Jahres ist das verschärfte Bundesdatenschutzgesetz in Kraft. Neben einigen Verfahrensvereinfachungen für Datensammler, ist die wichtigste Neuerung des Gesetzes, dass Recht auf Selbstauskunft (auch Eigenauskunft) in §34:

(1) 1Die verantwortliche Stelle hat dem Betroffenen auf Verlangen Auskunft zu erteilen über

1. die zu seiner Person gespeicherten Daten, auch soweit sie sich auf die Herkunft dieser Daten beziehen,

2. den Empfänger oder die Kategorien von Empfängern, an die Daten weitergegeben werden und

3. den Zweck der Speicherung.

2Der Betroffene soll die Art der personenbezogenen Daten, über die Auskunft erteilt werden soll, näher bezeichnen. 3Werden die personenbezogenen Daten geschäftsmäßig zum Zweck der Übermittlung gespeichert, ist Auskunft über die Herkunft und die Empfänger auch dann zu erteilen, wenn diese Angaben nicht gespeichert sind. 4Die Auskunft über die Herkunft und die Empfänger kann verweigert werden, soweit das Interesse an der Wahrung des Geschäftsgeheimnisses gegenüber dem Informationsinteresse des Betroffenen überwiegt.

Für Unternehmen, die Daten über Bürger sammeln, bedeutet dies, dass sie auf Verlangen Auskunft über alle Daten geben müssen, die sie über den Betroffenen speichern. Einschließlich der Information, woher die Daten stammen.

Nun ist es natürlich sehr mühselig all die Firmen herauszusuchen, und persönlich anzuschreiben. Viele Menschen werden sicher vor dem Aufwand zurückschrecken drei Dutzend Briefe zu versenden.

Das dachte sich auch Julian Kornberger von Digineo und richte kurzerhand einen kostenlosen Service ein, bei dem man automatisch  bei derzeit 35 Firmen eine Selbstauskunft einholen kann. Die Liste der Firmen wird ständig erweitert, und da viele Unternehmen für eine Auskunft eine Kopie des Personalausweises verlangen, arbeitet Julian zur Zeit an der Möglichkeit einen Scan des Personalausweises hochladen zu können.

Wichtig zu wissen ist natürlich, dass man die bei Digineo hinterlegten Daten jederzeit einsehen, und auch selber löschen kann. Weiterverwertet werden die Daten dort laut Digineo selbstverständlich auch nicht. Trotzdem sind ein paar Dinge zu beachten:

  • Überlegt euch, welche der angebotenen Firmen ihr tatsächlich anschreiben wollt. Viele sind Inkassounternehmen, die eure Daten vermutlich nur haben, wenn ihr schon mal mit ihnen zu tun hattet. Nach der Anfrage haben sie sie.
  • Schwärzt bei der Kopie eures Ausweises die Seriennummer, Geburtsdatum und die anderen Daten, die nicht wichtig sind, um eure Identität zu bestätigen. Man muss Datenkraken ja nicht nocb mehr Informationen hinterher werfen.

Das ganze ist eine super Idee, die vor allem vom Mitmachen lebt: Je mehr Leute die Datensammler mit Anfragen bombardieren, desto unangenehmer wird es für die (und teurer, denn jede Antwort kostet Porto!).

Danke schön!

Gerade bin ich vom FoeBud in einer E-Mail benachrichtigt worden, dass -wie ja auch in den Medien zu erfahren war- die Sammelbeschwerde gegen ELENA beim Bundesverfassungsgericht eingereicht wurde.

22.005 Menschen haben sich an der Aktion beteiligt. Das sind zwar weniger als bei der Vorratsdatenspeicherungsklage, aber diese Beschwerden sind in nur wenig mehr als zwei Wochen zustande gekommen!

An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei allen Leuten vom FoeBud und allen die freiwillig geholfen haben, den riesigen Berg an Vollmachten zu bearbeiten, und zum Bundesverfassungsgericht zu bringen bedanken: Vielen Dank, dass ihr mir, und 22.004 anderen Bürgern ermöglicht habt, erneut in einer großen Aktion gegen ein weitreren Baustein der Überwachungsgesellschaft zu klagen!

Auch diejenigen, die nicht mehr dazu gekommen sind, mitzuklagen können etwas tun: Den FoeBud kann man auch finanziell unterstützen.