Die SPD hat, bereits am 9. Januar, den Entwurf für ein SPD Fortschrittsprogramm vorgestellt, dass dann am Ende der Klausurtagung in Potsdam vom Parteivorstand beschlossen wurde.
Netzpolitik.org hatte ja bereits darauf hingewiesen, dass die SPD das Kunststück fertiggebracht hat, ein 43 seitiges Papier zum Thema Fortschritt zu veröffentlichen ohne dabei auch nur einmal auch nur das Wort Internet (von Netzpolitik ganz zu schweigen) zu verwenden. Die technische Entwicklung, die derzeit wohl am weitreichendsten dabei ist, die Gesellschaft zu verändern, kommt bei der SPD nicht vor.
Für andere Themenbereiche gilt das genauso. Im Abschnitt 4 “Ein Programm für Nachhaltigkeit” (S. 35ff) geht es um nachhaltige Wirtschaft und ökologische Industrie, die damit in Zusammenhang stehenden Themen Biotechnologie und Gentechnik werden dabei aber mit keinem Wort erwähnt.
Was aber steht denn nun drin, im “Fortschrittsprogramm”? Zum Beispiel sowas hier:
Eine Gesellschaft und ihre Menschen brauchen klare Leitbilder für gute Arbeit und gutes Leben. Fortschritt ist humaner Fortschritt, oder er ist kein wirklicher Fortschritt für alle. Wo alles zur Ware am Markt wird, verlieren Menschen Sicherheit und Orientierung, verliert die Politik ihren Gegenstand und wird im wahrsten Sinne des Wortes gegenstandslos. Menschen mit guter Arbeit sind produktiver, innovativer, offener und optimistischer. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land brauchen deshalb faire Löhne und menschengerechte Arbeitsbedingungen. Gute Arbeit hat außerdem einen Wert, der weit über das Materielle hinausreicht. Gute Arbeit befähigt zur Teilhabe an der Gesellschaft und verleiht Selbstachtung. Und nicht zuletzt: Gute Arbeit und faire Löhne sind dringend geboten, weil Leisung keine Einbahnstraße ist. Wer zum Gelingen beiträgt, muss auch etwas davon haben.
Hier ist soviel Neusprech drin, ich glaube Maha hätte seine helle Freude daran. Die wesentliche Forderung, die hier aufgestellt wird ist die altbekannte Forderung nach humanen Arbeitsbedingungen, und der Teilhabe der Erwerbstätigen an den Früchten dieser Arbeit. Das ist nicht falsch, es ist aber auch nicht die revolutionäre Neuerung, als die die SPD es hier zu verkaufen versucht. Soziale Gerechtigkeit und faire Bedingungen für Arbeiter sind die zentralen Themen der Partei seit ihrer Gründung.
Antworten auf die sich ergebenden Fragen sucht man dagegen vergeblich. Das Menschen mit “guter Arbeit”, also solche denen ihre Arbeit Freude und Erfüllung bereitet, produktiver sind, ist ein Allgemeinplatz. Und warum braucht man “deshalb faire Löhne”. Braucht man faire Löhne nicht vor allem deshalb, damit jeder von seiner Arbeit auch menschenwürdig leben kann? Das Ganze wird dann nochmal wiederholt, indem bestätigt wird, dass Arbeit über das materielle (also die Vergütung) hinaus einen Wert hat. Wieso ermöglicht aber Arbeit jenseits des materiellen eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben? Bei mir verhindert sie es eher, weil mir wenig Zeit für gesellschaftliche Teilhabe bleibt, wenn ich 8 Stunden am Tag arbeite. Es ist also doch vor allem das materielle, also das Geld, dass diese Teilhabe ermöglicht.
Das Arbeit Selbstachtung verleiht, ist auch ein Allgemeinplatz. Natürlich, wer etwas schafft, zieht eine Selbstbestätigung daraus, und erfährt Anerkennung durch andere. Nun leben wir aber in einer Gesellschaft, in der es nicht genug Arbeit für alle gibt, nicht zuletzt weil die Automatisierung unserer Produktionsprozesse soweit fortgeschritten ist, dass nicht mehr alle arbeiten müssen, um die benötigten Güter zu produzieren. Der Traum von der Vollbeschäftigung ist damit ersteinmal ausgeträumt. Wie sich die SPD aber eine Gesellschaft vorstellt, in der auch die Menschen Selbstachtung erfahren, die nicht in den Produktionsprozess eingebunden sind, darüber findet man in den 43 Seiten nichts.
Der Gipfel des Neusprech sind aber die letzten beiden Sätze.
“Gute Arbeit und faire Löhne sind dringend geboten, weil Leistung keine Einbahnstraße ist. Wer zum Gelingen beiträgt, muss auch etwas davon haben.”
Natürlich ist Leistung keine Einbahnstraße, sie ist überhaupt keine Straße. Der Vergleich von menschliche Arbeitsleistung und/oder Kreativität mit einem zu beschreitenden Weg (in Form des Bildes der Straße) ist einigermaßen absurd. Gemeint ist hier natürlich: Leistung ist kein einseitiges Geben, der Leistende soll auch etwas zurück erhalten, wie der nächste Satz dann ja auch fordert. Man könnte auch sagen “Leistung muss sich wieder lohnen!” (Guido Westerwelle).
Ich könnte hier jetzt noch viele Seiten weiter schreiben, denn das Fortschrittsprogramm geht auf 43 Seiten so weiter. Neben altbekannten Forderungen finden sich Worthülsen wie die eben gezeigte, aber an Vorschlägen, wie man die Forderungen den Umsetzen, oder wie der beschworene Fortschritt denn aussehen solle, fehlt es auf jeder einzelnen Seite.
In den USA ist es üblich, dass die Schüler der High-School am Ende jedes Schuljahres ein Jahrbuch herausgeben. Jeder Schüler erhält ein Exemplar, und geht in den letzten Tagen vor den Ferien rum, um sich das Buch von den Mitschülern mit einem netten Spruch signieren zu lassen.
Wenn man jemandem absolut gar nichts zu sagen hat, schreibt man “Have a nice summer!” also etwa “Schöne Sommerferien”, das ist sozusagen das gesellschaftliche Todesurteil. Der SPD ist es hier gelungen auf 43 Seiten nichts anderes zu schreiben als “Have a nice summer!”.