Aus der Pressemitteilung “Shooter-Games in der Wissenschaft und in den Medien: VolkswagenStiftung unterstützt Forschungsprojekt” der Uni Mainz:
Es hat schon Routine, dass nach jugendlichen Gewaltexzessen wie dem Amoklauf in Winnenden die Frage nach dem Einfluss gewalthaltiger Computerspiele gestellt wird. Die Medien suchen Experten und zitieren wissenschaftliche Studien – die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Forschung kommen aber trotzdem nicht beim Leser oder Fernsehzuschauer an. Obwohl die Datenlage mittlerweile recht eindeutige Schlüsse erlaubt, verbreiten Journalisten und Redakteure die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Ansichten über die Wirkung von Gewaltspielen. “Offenbar ist es nicht gelungen, die Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit korrekt zu vermitteln”, meint Prof. Dr. Christoph Klimmt vom Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. In einem Kooperationsprojekt untersucht der Mainzer Medienforscher nun, wie die Forschungsergebnisse von den Medien dargestellt werden und wie die Vermittlung sozialwissenschaftlicher Forschung künftig zu verbessern ist. Das Projekt wird von der VolkswagenStiftung mit rund 315.000 Euro gefördert.
Nanu? Die sozialwissenschaftliche Forschung ist sich einig über den Einfluss von gewalthaltigen Spielen? Und jetzt muss nur noch die Presse eingenordert werden, Pardon, die eindeutigen Ergebnisse korrekt vermittelt werden? Oh ja, den laut der Pressemitteilung seien selbst in “Qualitätsmedien” kontroverse Meinungen zum Thema zu finden (Oh je!):
Spätestens seit dem High-School Massaker von Littleton, Colorado, im Jahr 1999 herrscht in der Öffentlichkeit Aufregung um die Frage, ob Ego-Shooter und “Killerspiele” vielleicht an der Gewaltbereitschaft von Jugendlichen schuld sind. Die Medien tragen zu diesen Debatten bei, indem sie ganz unterschiedliche Auffassungen über die Wirkung von Gewaltspielen verbreiten und dies mit wissenschaftlichen Studien belegen. “Wir finden Berichte, wonach sozialwissenschaftliche Studien gezeigt haben, dass Gewaltspiele das schlimmste Gift sind und zu mehr Gewalt im realen Leben führen oder dass Killerspiele völlig harmlos sind und überhaupt kein Zusammenhang besteht oder aber dass die Forschung gar nichts dazu weiß”, erklärt Klimmt. “Die journalistischen Darstellungen sind hoch kontrovers und selbst Qualitätszeitungen veröffentlichen völlig unterschiedliche und sich widersprechende Aussagen.”
Das mag an dem Wikipedia Artikel “Gewalt in den Medien” liegen, der etliche kontroverse Studien zur Frage, ob Computerspiele aggressiv machen, auflistet. Aber aufgrund der eindeutigen Datenlage muss dieser Artikel sowieso schleunigst überarbeitet werden. Bleibt die Frage, was diese Datenlage besagt. Leider, leider ist in der Pressemitteilung nur der Hinweis zu finden, dass “Gewaltspiele” eine Wirkung haben sollen:
Tatsächlich hat die sozialwissenschaftliche Forschung mittlerweile recht eindeutige Ergebnisse zur Wirkung von Gewaltspielen vorgelegt. Nach Auffassung von Klimmt ist es jedoch offenbar nicht gelungen, diese Forschungsergebnisse auch zu vermitteln. “Das Bild, das die Öffentlichkeit bekommt, wird zu einem erstaunlich kleinen Teil von den Wissenschaftlern geprägt.”
Beziehen sich die “eindeutigen Ergebnissen” auf die von der niedersächsischen VolkswagenStiftung zuvor mit 700.000 Euro finanzierten Studie “Medienverwahrlosung als Ursache von Schulversagen?” von Christian Pfeiffer, die trotz Veriss in der Forderung nach einem pauschalen Verbot von “Killerspielen” gipfelte? Oder beruhen die “eindeutigen Ergebnisse” auf der Meta-Studie “The Effects of Prosocial Video Games on Prosocial Behaviors”? Mit der, laut des an der Studie beteiligten Prof. Brad J. Bushman, eine gültige Aussage zur Wirkung von Computerspielen gefunden wurde, die man auch noch verallgemeinern kann:
The article presents the findings of three separate studies, conducted in different countries with different age groups, and using different scientific approaches. [...] As in numerous other studies, the researchers found a strong correlation between playing violent video games and hurting others. But the study also found a strong correlation between playing prosocial games and helping others.
Jepp, letzteres scheint der Fall zu sein:
Zusammen mit Dr. Mario Gollwitzer und Tobias Rothmund von der Universität Koblenz-Landau wird Klimmt die Medienberichte der letzten Jahre über die Forschungen zum Thema Gewaltspiele qualitativ und quantitativ analysieren. Die Wissenschaftler arbeiten dabei mit Prof. Brad J. Bushman von der University of Michigan, einem weltweit führenden Experten zur Wirkung von gewalthaltigen Computerspielen, zusammen [...].
Bushman als “weltweit führenden Experten zur Wirkung von gewalthaltigen Computerspielen” zu bezeichnen ist genau so gewagt wie Christian Pfeiffer 700.000 Euro zu geben, es sei denn man ist an extrem einseitigen Ergebnissen interessiert. Bushmann hat sich z.B. einen Namen mit der abenteuerlichen Behauptung gemacht, dass die Lektüre von gewahlthaltigen Bibeltexten zu Aggression führe. So ist es nicht verwunderlich, dass von Prof. Chris Ferguson die “The Effects of Prosocial Video Games on Prosocial Behaviors” Studie komplett zerissen wurde:
You know trouble is brewing right in the beginning as they start with the false premise that there is an established relationship between video games and aggression. The authors engage in what’s called citation bias, which means they only cover research they like and ignore anything they don’t like. This is just not good science. Since this literature review is so slanted, that worries me about how they collected and analyzed their data.
In [one study] they note that there is a high correlation between prosocial exposure and violent game exposure. This suggests that these may be some of the same games that have both kinds of content! They then suggest that there wasn’t a problem with multicollinearity (basically means if you include 2 predictors that are too similar it can screw up your results), yet they only say they had no VIF less than 10…yet even something as low as 4 or 5 is pretty high. So multicollinearity may have been a bigger problem than the authors try to suggest. Therefore, there may be some serious problems with their analyses here.
[Also] the authors say that prosocial exposure and violence exposure were very highly correlated and then claim they have completely opposite effects. That is just highly unlikely.
In [another study] the standardized coefficient between playing prosocial games and prosocial behavior… suggests that playing prosocial games had almost no overlap with prosocial behavior one year later. Here we have yet another example of a “significant” finding being touted even though it’s so small you’d never notice it in the real world. They also assert causality from correlational data which they can’t do no matter how they analyze it.
The final study is probably the best of the three, but it’s also the most artificial. Indeed, a fair number of their participants express suspicion about what went on. These kinds of studies have a high risk of “demand characteristics” In other words, students will give you the results they think you want and they won’t admit to it afterward. Also the resultant effect sizes are all pretty small.
So, at best, a mountain is being made out of a molehill here, and at worst there are some pretty serious flaws in all analyses. I do worry about the “tone” from this research group. They do not comprehensively cover the literature honestly, and appear to have a hypothesis that they favor from the get-go. That tone would lead me to question their objectivity and, as such, the quality of their analyses.
Bottom line – I doubt you’d see prosocial games solve the world’s ills anymore than violent games have caused any outbreak of youth violence.
Die schlampige Studie ist exemplarisch für die Folgerungen, die die Psychologen Christopher Ferguson und John Kilburn aus den Ergebnissen ihrer Meta-Analyse von 27 in den letzten zehn Jahren erschienen Studien zu Medien-Gewalt gezogen haben: Die meisten Studien zum Thema Videospiele und Aggression werden von Ideologie und Politik bestimmt – nicht aber von methodischer Qualität und Signifikanz ihrer Ergebnisse. Zufällig vereinten sich hier die Agenden konservativer und linker Kreise zu einem “Perfect Storm” des politischen Opportunismus. Wissenschaftlicher Dogmatismus, meinen Ferguson und Kilburn, habe die Fähigkeit der Science-Community beschädigt, dieses Forschungsgebiet kritisch zu betrachten.
Der VolkswargenStiftung sollte diese Kritik bekannt sein. Aber sie scheint Gefallen an der Förderung des “Perfect Storms” gegen Computerspiele gefunden zu haben. Analog zur tendenziösen Studie Pfeiffers soll offenbar eine üppige Finanzierung Eindruck schinden und vermutlich die Kritik an ihrem “weltweit führenden Experten” überblenden. Schließlich geht aus der Pressemitteilung das Ziel der VolkswagenStiftung deutlich hervor, die 315.000 Euro für eine Beeinflussung der Politik auszugeben, indem die Stiftung beabsichtigt der Presse ihre “eindeutige Datenlage” aufzuschwätzen:
[Es ] findet ein Workshop mit Fachjournalisten statt, um ihnen einen Versuchsaufbau zur Erforschung gewalthaltiger Computerspiele vorzustellen. Wie wichtig die richtige Vermittlung von Forschungsergebnissen ist, zeigt sich nicht zuletzt an der gesellschaftlichen Bedeutung des Mediums Computerspiel: Vom Umgang der Politik mit Gewaltspielen sind nicht nur Millionen Spieler und ein Wirtschaftszweig mit Milliardenumsätzen betroffen, sondern auch die Maßstäbe der Medienfreiheit und des Jugendschutzes.
[...]
Die Ergebnisse, so erwarten Klimmt und sein Team, werden sich auf die aktuelle Debatte zum Thema gewalthaltige Computerspiele niederschlagen
Schlappe 19.000 Euro investierte die VolkswagenStiftung bereits in einen ersten Feldversuch, bei dem sie Journalisten zu einem Hintergrundgespräch in das Inselhotel Potsdam-Hermannswerder einlud und sich dabei im Gegensatz zur Pressemitteilung der Uni Mainz weniger in das Ungefähre flüchtete:
Wie hängen Gewaltdarstellungen in den Medien und Aggressionsbereitschaft zusammen?
Nicht erst seit dem sogenannten Schulmassaker in Erfurt und ähnlichen Ereignissen wird diskutiert, inwieweit Gewaltdarstellungen in den Medien zu einer erhöhten Aggressionsbereitschaft bei den Mediennutzern führen. Eine Reihe von Forschungsergebnissen stützt die Annahme, dass hier Zusammenhänge bestehen. Nicht hinreichend beantwortet ist die Frage, weshalb die Darstellung von Gewalt eine solche Anziehungskraft ausübt und auf welche Weise sie Aggressionen entstehen lässt. Ebenso wenig geklärt sind die Möglichkeiten, medial ausgelöster Gewalt vorzubeugen beziehungsweise gesellschaftspolitisch rechtzeitig zu intervenieren.
Mit diesen Fragen befassen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom 31. Mai bis 3. Juni 2007 in Potsdam bei dem Symposium “Understanding the Impact of Media Violence Exposure on Aggression”. Es wird ausgerichtet von Professorin Dr. Barbara Krahé und Dr. Ingrid Möller vom Institut für Psychologie der Universität Potsdam und führt Expertinnen und Experten aus der Psychologie, Kommunikationswissenschaft und Medieninformatik zusammen. [...]
Die Vorträge behandeln ein breites Spektrum an Fragestellungen. Es erstreckt sich von den Auswirkungen gewalthaltiger Videospiele auf das Gedächtnis bis hin zur Wirkung von Figuren im Computerspiel auf das Selbstbild männlicher Teenager. Ein Vortrag beschäftigt sich ausdrücklich mit der zentralen Frage nach dem direkten Zusammenhang zwischen Mediengewalt und Kriminalität.
Barbara Krahé (“Mittlerweile gibt es klare Belege dafür, dass gewalthaltige Spiele die Aggressionsbereitschaft erhöhen können”) und Ingrid Möller (“Spieler mit aggressiver Neigung spielten gern aggressive Spiele, und aggressive Spiele erhöhten die Aggressivität der Spiele”) werden sicherlich für eine korrekte Vermittlung des “Perfect Storms” gesorgt haben.
Es ist ziemlich beeindruckend, wieviel Geld irgend so eine niedersächsiche Clique in eine Kampagne zur Verteufelung von Computerspielen pumpt, um eine Nonsensdebatte um die längst wiederlegte Wirkung von Medien auf tatsächliche Gewalt anzustacheln. Dabei die Diskreditierung eines ganzen Forschungsbereiches in der Öffentlichkeit billigend in Kauf nimmt. Ist Hannover so trist, dass man sich derartig komische Hobbys zulegt?
Tags: Killerspiele, Kulturkampf, Politik, Propaganda
Hervorragender Beitrag. Vielen Dank!
‘haben sie einen kugelschreiber? ja? dann können sie auch schecks fälschen.’ ebenso alt ist die debatte, die sich bereits in den 1970ern um die wirkung auf ‘die jugend’ entspann, als die krimireihe ‘der kommissar’ ein paar mal blutflecken zeigte. man kann immer alles beweisen – und von allem das gegenteil.
toller artikel, danke.