Und nochmal Audismus?

Bei Die Welt mit den Augen sehen, dem Blog von Julia “Jule” Probst, bin ich auf eine Geschichte gestoßen, die mich -mal wieder- ziemlich aufgeregt hat.

Nach Berichten des Hamburger Abendblattes hat das Hamburger Jugendamt, bereits vor zwei Jahren, der gehörlosen Annette S.  ihr hörendes Kind weggenommen. Die Mutter hatte festgestellt, dass es zwischen ihr und dem Kind zu Kommunikationsproblemen kam, und das Jugendamt um Hilfe gebeten. Sie hatte bei der Familienhilfe Unterstützung für den Gebärdenunterricht ihres Sohnes Antonio beantragt.

Den Ämtern stehen hier eigentlich eine Reihe von Möglichkeiten offen, solche Probleme zu bearbeiten. So könnte man dem Kind helfen, besser zu Gebärden, oder der Mutter sich auch in Lautsprache mit ihrem Kind zu verständigen. Beim Zuständigen Hamburger Jugendamt, sah man hingegen das Kindeswohl gefährdet. Laut Berichten der TAZ heißt es:

Begründung: Kommunikation und Interaktion zwischen Mutter und Sohn seien stark gestört und das Kindeswohl somit gefährdet.

Als weitere Begründung wurde dann, laut TAZ nachgeschoben, die Mutter sei psychisch labil.  Da der Fall, aus Datenschutzgründen, unter Verschluss gehalten wird, ist es kaum möglich, diese Aussage zu belegen, es kann also durchaus was dran sein.

Leider hat der Umgang der Behörden mit gehörlosen Eltern eine traurige Tradition, die sich in Zahlreichen Fällen wie diesem hier immer wieder zeigt, der Verdacht, das hier Diskriminierung die eigentliche Ursache ist, liegt also mehr als nahe. Zumal die Vorgehensweise des Jugendamtes hier derart rabiat ist, dass man nur den Kopf schütteln kann. Der kleine Antonio wurde von den Behördenmitarbeitern direkt von der Kindertagesstätte abgeholt, und in eine Pflegefamilie gebracht. Seine Mutter hat er  nicht mehr sehen dürfen. Wegen der “psychischen Probleme” von Frau S. wurde ihr das Sorgerecht ein halbes Jahr später komplett entzogen.

Solch ein Vorgehen wäre vielleicht gerechtfertigt, wenn es Anzeichen gäbe, dass das Kind misshandelt wurde, oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit des Jungen bestanden hätte. Zumindest aus der Berichterstattung geht aber nichts dergleichen hervor.

Inzwischen hat der Anwalt der Familie S. erstritten, dass Mutter und Sohn einander sehen dürfen: Für zwei Stunden in der Woche und unter strenger Aufsicht eines Behördenmitarbeiters. Annette S. berichtet gegenüber der TAZ, ihr Sohn würde nunmehr kaum noch Gebärden können, und daher mit seiner Mutter nur noch schwer sprechen können.

Der Anwalt der Familie beanstandet derweil das Gutachten, aufgrund dessen S. das Sorgerecht entzogen worden wahr. Die Gutachterin beherrsche keine Gebärdensprache, und sei daher gar nicht in der Lage gewesen mit Frau S. zu kommunizieren.

Laut dem Gutachten misstraue S. der Welt der Hörenden, und fühle sich als Opfer, weil sie schwarz und gehörlos sei. Weiter heißt es in dem Gutachten: “Ihr Weltwissen ist eingeschränkter als das von Hörenden”. Leider schweigen sich die Zeitungsberichte über den genauen Kontext, in dem dieser Satz steht, aus. Es wäre insoweit interessant mal das ganze Gutachten zu lesen (kann das nicht mal jemand leaken?). Trotzdem ist die Stoßrichtung des Arguments unschwer zu übersehen:

Das ist hübsch formuliert nichts anderes, als die oft gehörte Behauptung, gehörlose seien allein aufgrund ihrer Gehörlosigkeit dümmer als Hörende. Dieses Argument ist so alt wie bescheuert. Es ist etwa so, als würde man behaupten Brillenträger seien dümmer als nicht Brillenträger, oder Linkshänder dümmer als Rechtshänder. Schon diese dreiste Behauptung belegt, dass Annette S. sich zu recht als Opfer sieht, als Opfer von Diskriminierung nämlich.

Am Donnerstag hat das OLG Hamburg darüber entschieden, ob Antonio zu seiner hörenden Tante ziehen darf. Das wäre wenigstens ein kleiner Fortschritt, denn diese kämpft an der Seite ihrer Schwester dafür, dass Antonio wieder zu seiner Mutter kommt.

Leider gibt habe ich noch keine Informationen darüber gefunden, was bei der Gerichtsverhandlung herausgekommen ist. Wer mehr weiß, bitte sagt mir Bescheid.

Zu meinem Bedauern hat es, außer der Handvoll Presseberichte, kaum ein öffentliches Echo auf den Fall gegeben; die Belange gehörloser Menschen scheinen kaum jemanden zu interessieren.

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