Archiv für März 2011

Kann man gehörlose Menschen hypnotisieren?

Zugegeben, die Frage ist auf den ersten Blick irgendwie abwegig. Drauf gekommen bin ich, weil Jule darüber getwittert hat. Also habe ich mich mal auf die Suche gemacht. Sai konnte mir da leider auch nicht weiterhelfen, aber ich habe ein paar Studien zum Thema gefunden.

Die umfangreichtse  Studie (PDF), die ich zu dem Thema gefunden habe, wurde im Jahr 1994 von Renee J. Repka, damals am Rigeview Psycatric Hospital and Center in Oak Ridge, Tennessee, und Michael R. Nash von der University of Tennessee durchgeführt.

Zunächst einmal ergibt sich die Frage, wie man überhaupt die Hypnotisierbarkeit von Personen misst. Dazu gibt es verschiedene Skalen, die verschiedene Schwerpunkte haben können, z.B. die Havard Group Susceptibility Scale (HGSS), die für die Untersuchung von größeren Gruppen gedacht ist, oder die Stanford Hypnotic Susceptibility Scale (SHSS), die sich mehr auf Individuen fokussiert, und wohl die verbreitetste ist. Keine dieser Skalen kann natürlich vollkommen objektiv sein, dass scheitert schon daran, dass die Hypnotisierbarkeit von Menschen von sehr vielen Faktoren abhängt, nicht zuletzt davon, ob eine Person sich zu dem Zeitpunkt des Tests auf die Hypnose einlässt. Anders als in der Populärkultur dargestellt, erfordern Hypnosetechniken ein aktives Mitwirken des Probanden. Eine hypnotische Trance kann also gegen den Willen des Hypnotisierten nicht eingeleitet werden.

Die beiden Skalen basieren im wesentlichen darauf, während der Hypnose eine Reihe von 12 standardisierten Tests durchzuführen, um dadurch vergleichbare Angaben über die Tiefe der Hypnose zu erhalten. Da es in der Natur der Hypnose liegt, dass der Proband beim erreichen der hypnotischen Trance unwillkürlich die Augen schließt (nach SHSS  und HGSS) ist dies eines der 12 zu testenden Merkmale), die Tests aber zum Teil auf verbaler Suggestion basieren, ist es sehr schwer hier mit Gehörlosen zu arbeiten, die natürlich mit geschlossenen Augen die verbale Suggestion nicht wahrnehmen können. Um dieses Problem zu umgehen, hat Repka die Skala abgewandelt, und die UTHSS:D (University of Tennessee Hypnotic Susceptibility Scale for the Deaf) entwickelt. Diese Skala orientiert sich an der Stanford Skala (SHSS), verwendet aber Videotechnik um die gesprochenen Suggestionen in Gebärdensprache (in diesem Fall American Sign Language) abzubilden. Dadurch, dass alle Suggestionen auch als Ton vorhanden waren, kann der Test auch auf hörende Personen leicht angewandt werden.

Die angewandten Test stammten alle aus dem Reportoire des SHSS, wurde aber im Einzelfall so angepasst, dass sie die Gehörlosigkeit der Probanden gerecht werden (einen gehörlosen Probanden anzusprechen, während dieser die Augen geschlossen hält, ist z.B. wenig sinnvoll). So wurden verbale Signale z.B. durch Berührungen ersetzt. Wichtig ist, dass diese Form auch bei der hörenden Kontrollgruppe zum Einsatz kam.

Repka und Nash führten zwei Experimente mit einer Gruppe von prelingual ertaubten Personen (also Menschen die ihr Gehör in einem Alter vor dem Spracherwerb verloren hatten), und einer hörenden Kontrollgruppe durchgeführt. Hierbei wurden die Probanden gebeten während der Hypnose nicht zu sprechen. Die Signale, mit denen der Hypnotiseur versucht die Hypnose einzuleiten kamen dabei von einem Videoband, dass sowohl die gebärdete, als auch die gesprochene Version des Test enthielt. Der anwesende Assistent, dessen Aufgabe es war den Probanden zu helfen die hypnotische Trance zu erreichen wusste dabei nicht, zu welcher Gruppe der Proband gehörte.

Da sich die Altersstruktur und die Zusammensetzung nach Geschlecht in den beiden Testgruppen geringfügig unterschied, war der Test so ausgelegt, dass auch der Einfluss von Alter und Geschlecht berücksichtigt wurden.

Im ersten Experiment ergab sich für die Gruppe der gehörlosen Probanden ein UTHSS:D-Score von 5.1 (wobei höhere Werte eine höhere Empfänglichkeit für Hypnose anzeige Abweichung zwischen hörenden und gehörlosen Probanden festzzustellen war, wurde beim zweiten Test, der im Rahmen dieses Experiments durchgeführt wurde, keine Abweichung gefunden. Der zweite Test basiert auf dem “Field Depth Inventory” Test, der wohl dazu dient, die  Tiefe des Hypnosezustands beim Probanden herauszufinden, wohl mit Hilfe eines Fragebogens. In der Literatur findet dieser Test immer wieder Erwähnung, ich habe aber leider nicht herausfinden können, wie er funktioniert. Wenn jemand näheres über diesen Test weiß, würde mich das sehr interessieren. Bei diesem Test konnte kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen gefunden werden.

Im zweiten Experiment ging es darum, die Ergebnisse des ersten Tests zu reproduzieren, und weitere Daten zu gewinnen, um z.B. den Einfluß anderer Faktoren (Alter, Geschlecht, usw.) aus den Ergebnissen herauszurechnen. Dazu wurden zusätzlich zu den genanneten Skalen noch die “Archaic Involvement Measure” (AIM) eingeführt, ein Test der den Einfluss der Beziehung zwischen Proband und Hypnotiseur messen soll. Nash selbst hatte in früheren Forschungen bereits die Hypothese begründet, dass persönliche Verhältnis zwischen Hypnotiseur und Proband beeinflusse die Empfänglichkeit des Probanden für Hypnose.

Desweiteren wurden mehrere Tests durchgeführt, die die Empfänglichkeit des Probanden für allgemeine Suggestionen (außerhalb der Hypnose), seine persönliche Haltung zum Phänomen der Hypnose, und seine Erwartungen an das Experiment bewertet wurden. Die Ergebnisse des zweiten Experiments ließen auch beim UTHSS:D Test keine Unterschiede mehr erkennen.

Als Fazit kann man wohl sagen, dass es keine Unterschiede zwischen hörenden und gehörlosen Probanden gibt, was die Hypnotisierbarkeit angeht.