Das deutsche Fernsehen beschert seinen Zuschauern ja nicht gerade viele Sternstunden in kritischer Fernsehunterhaltung. Klassiker wie das Millonenspiel von Tim Toelle sind bereits 30 Jahre als, und genauso lange nicht gezeigt worden.
Nun hat der SWR versucht, mit einem neuen Projekt ein jüngeres Zielpublikum anzusprechen. Die neue Produktion trägt den etwas hirnrissigen Titel Alpha 0.7 – Der Feind in Dir, Der SWR versucht hier, ganz neue Wege zu gehen: Die meisten der Hauptfiguren haben ein eigenes Blog. Die Tochter der Protagonistin betreibt einen YouTube-Channel. Es gibt ein Radiohörspiel und einen Podcast zur Serie.
Aber worum geht es? Alpha 0.7 spielt in Stuttgart, im Jahr 2017. Um Bahnhöfe geht es aber diesmal nicht, dafür um Überwachung. Die Autoren der Serie haben bei den aktuellen Entwicklungen der Innen- und Sicherheitspolitik gut aufgepasst. Deutschland 2017, dass ist das Kondensat aller Überwachungsalbträume der Datenschutz- und Bürgerrechtsbewegung. Man kann sich im öffentlichen Raum nicht bewegen, ohne von mindestens einer Kamera beobachtet zu werden. Der Zuschauer erfährt, durch den Blick durch die Kamera, dass diese dabei die Person automatisch erkennt, und ein Bewegungsprofil erstellt.
Telefone werden routinemäßig abgehört und alle Gegenstände des täglichen Gebrauchs, von der Kleidung bis zur Kaffeetasse, sind mit RFID-Chips ausgestattet, deren Kennung mit dem Träger verbunden ist. Die Polizei geht recht rüde vor, und verwendet unter anderem eine Art elektronischer Fessel, die dem Träger elektrische Schläge verpasst, sollte er sich aggressiv verhalten.
Große Teile des Überwachungsapperates gehören einer Firma die Behörden und Untenehmen beliefert, und natürlich Zugang zu allen Daten hat: Der Protecta AG (ein Name der, wie ich finde, eher nach Damenhygiene klingt),
In dieses düstere Szenario platzt eine neue Erfindung: Der Brainscanner. Mit diesem Gerät ist es angeblich möglich anhand der Struktur des Gehirns vorherzusagen, ob jemand Straftaten begehen wird. Das Prinzip des freien Willens, wird hier ebenso auf den Kopf gestellt, wie die Unschuldsvermutung.
Zu allem Überfluss gibt es noch eine junge Frau, Johanna Berger, die scheinbar, ohne dies zu wissen, Teil eines Experiments ist, in das neben der Protecta auch noch das dubiose Neurowissenschaftliche Pre-Crime Center des BKA verstrickt ist.
Die Serie entspinnt bereits in den ersten beiden Folgen einen komplexen Handlungsbogen und baut eine Menge Spanung auf. Ich will nicht viel über die Handlung verraten, da vielleicht der ein oder andere noch gucken will. Bestechend fand ich die Ausgestaltung auch kleiner Details, die zeigen, dass die Macher der Serie sich sowohl über die Überwacher, als auch über die Datenschutzbewegung kundig gemacht haben. So skandieren die Mitglieder der Widerstandsgruppe Apollon zum Beispiel, als sie eine Präsentation der Protecta AG stürmen, das Motto “Freiheit statt Angst”. Die Reden der Überwacher könnten auch von Karl de Maizière stammen. Besonders die Gefahr, dass scheinbar harmlose Daten so verknüpft werden, dass sich genaue Bewegungs-und Persönlichkeitsprofile erstellen lassen, wird hervorragend rübergebracht,
Die Serie ist recht stimmig, außer ein paar Logikbrüchen, die man aber wohl verschmerzen kann: So kann der Informatiker Ralf sich zwar innerhalb von Minuten in das Netzwerk der Protecta AG hacken, weiß aber nicht, dass man ein Handy tracken kann, oder dass Facebookdaten nicht privat sind.
Die medienübergreifenden Inhalte dagegen sind nicht so gut gelungen. So ist der YouTube-Channel von Meike Berger sehr unglaubwürdig, die wenigen Beiträge wirken sehr produziert. Die Blogeinträge von Johanna wirken eher wie von einem Redakteur geschrieben, und sind ebenfalls nicht glaubwürdig (würde jemand, der glaubt an paranoider Schizophrenie zu leiden, das wirklich in seinem Blog breittreten?).
Die Website von Apollon schließlich, sieht aus wie von einer Werbeagentur geschaltet, man denkt eher an Astroturfing, als an eine echte Widerstandsgruppe.
Die Internetgestaltung lässt deutlich erkennen, dass hier Fernsehleute am Werk waren, die vom Medium Internet nicht allzuviel verstehen.
Trotz dieser Schwächen ist dem SWR hier ein sehr ambitioniertes Projekt gelungen, das durchaus das Zeug hat, ein junges Publikum an die Problematik des Datenschutzes und des verbreiteten Überwachungswahns heranzuführen. Und es kommt., angesichts der Terrorpanik dieser Tage, zum rechten Zeitpunkt.
Eines habe ich aber immer noch nicht zufriedenstellend herausfinden können: Wieso kommt die Sendung Sonntags um 22:40 Uhr, und nicht zur Prime-Time?
“würde jemand, der glaubt an paranoider Schizophrenie zu leiden, das wirklich in seinem Blog breittreten”
Zur Wahrheit gehört auch die Eigene. Finde diese Tatsache macht jemanden weder unglaubwürdig noch verachtenswert über seinen Schatten zu sprechen. Eher Verachtenswert von der Art von Menschen die nicht mal in der Lage sind sich selbst ihre Schwächen einzugestehen…
Dazu würde ich Hesses Steppenwolf empfehlen.
Danke für deine Thematik…
In Frieden